Karl Kraus (Bestände)

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Das Karl Kraus-Archiv in der Wienbibliothek im Rathaus
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BildunterschriftInformation, die unterhalb des Bildes angezeigt werden soll Das Karl Kraus-Archiv in der Wienbibliothek im Rathaus
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Die Hinterlassenschaften von Karl Kraus verteilen sich auf verschiedene Institutionen in Wien und andernorts - die größten Teilnachlässe und Sammlungen befinden sich in der Wienbibliothek im Rathaus, dem Brenner-Archiv der Universität Innsbruck, der Österreichischen Nationalbibliothek sowie im Deutschen Literaturarchiv Marbach.

Ein Teil des Nachlasses Paul Schick - Sophie Schick, der 2012 in den Bestand der Wienbibliothek im Rathaus aufgenommen wurde

Selbstarchivierung und Nachlassbewusstsein

Die Aufbewahrung von Texten und ihren Grundlagen war für Karl Kraus aufgrund seiner dokumentarischen Arbeits- und Zitattechnik schon immer notwendig gewesen. Da die Materialberge aber wuchsen und Kraus wenig Interesse an der eigenhändigen Pflege seiner Selbstarchivierung zeigte, begann er schon zu seinen Lebzeiten, Druckfahnen und anderes Material seiner Vertrauten Helene Kann zu überlassen. Sie verwaltete Kraus’ Vorlass in ihrer Wohnung in der Mahlerstraße 7 (unweit von Kraus’ eigener Wohnung) und sprach erstmals von einem "Kraus-Archiv".

Exil und Remigration des Bestandes

Kraus selbst blieben Verfolgung und Exil durch seinen frühen Tod im Juni 1936 erspart. Jene Materialien, die sich noch in seiner Wohnung und in der Druckerei Jahoda & Siegel befanden, wurden nun auch in Kanns Wohnung gebracht. Da sie allerdings nicht alles unterbringen konnten, wurde ein kleinerer Nachlassteil in die Österreichische Nationalbibliothek gebracht, wo er den Zweiten Weltkrieg überdauert und schließlich verblieb. Zugleich übernahm Oskar Samek das Interieur der Kraus-Wohnung, um das Arbeitszimmer als Gedenkzimmer oder Karl Kraus-Museum im Hinterhof seines Hauses in der Reindorfgasse originalgetreu aufzubauen. Kanns Übersiedelungs- und erste Ordnungsarbeiten wurden in Wien von Leopold Liegler, Philipp Berger, Karl Járay und Edwin Hartl unterstützt. Kann verschenkte auch immer wieder einzelne Manuskripte an ausgewählte Personen, dies schmälert aber in keiner Weise ihr großes Verdienst – die Rettung der größten Teile des Bestandes nach der nationalsozialistischen Machtübernahme. Kann selbst nahm große Teile des Nachlasses mit in ihr Schweizer Exil und ließ sich offenbar dorthin auch Materialien nachsenden oder mitbringen. Dabei wurde ihre Freundin Anita Koessler zu einer wichtigen Figur. Da sie Kann aber nicht mehr alle Nachlassteile zukommen lassen konnte, nahm Koessler schließlich selbst das verbleibende Material mit in ihr schwedisches Exil. Oskar Samek wiederum nahm all seine Handakten zu Kraus wie auch einzelne Materialien zu Kraus' Werken mit in sein New Yorker Exil.

Das Kraus-Archiv der Wienbibliothek im Rathaus

Alle erwähnten Bestandteile des Kraus-Archivs kamen im Abstand von über fünf Jahrzehnten wieder nach Österreich zurück und gingen vor allem an die Wienbibliothek im Rathaus. Eine zentrale Rolle spielte dabei der Jurist Paul Schick, der 1946 aus dem amerikanischen Exil nach Wien zurückkehrte und von Viktor Matejka als Bibliothekar in den Dienst der Stadtbibliothek geholt wurde. Matejka, der sich im postnationalsozialistischen Österreich um eine "Kraus-Renaissance" bemühte, war auch an der Gründung der kurzlebigen Karl Kraus-Gesellschaft beteiligt. Kraus selbst hat in seinem sehr unklaren Testament die Stadtbibliothek als möglichen Aufbewahrungsort für seinen Nachlass genannt. Schick nahm also Verbindung mit Helene Kanns Tochter Eva Röder, zu Oskar Samek und zu Anita Koessler auf. 1955 kehrte das Kraus-Archiv "endlich heim", wie die Zeitschrift "Neues Österreich" am 9. Januar 1955 berichtete.

Paul Schick begann nun mit seiner Frau Sophie Schick, die sich privat engagierte, die Mammutaufgaben der Ordnung und Erschließung des Teilnachlasses Karl Kraus anzugehen. Die Schicks entschieden sich dazu, auf die übliche Form der Katalogisierung der Handschriften zu verzichten und legten das Material nach seiner Zugehörigkeit zu der jeweiligen Nummer der "Fackel" ab. Sie entschlossen sich auch dazu, jedenfalls Teile der Korrespondenzen chronologisch geordnet zu binden, befürchtend, dass künftige Forschende diese sonst nicht mehr richtig bewerten würden können. Diese Bearbeitung des Bestandes – vor allem die Bindung der Materialien – verursachte, unter anderem aufgrund des Gebrauchs von verschiedenen Klebstoffen, leider konservatorische und strukturelle Probleme, die bis heute nachwirken. Nicht nur durch ihre ungewöhnliche Ordnung schrieben sich die Schicks stark in das auch von ihnen so genannte "Kraus-Archiv" ein. Paul Schick prägte durch seine rororo-Monographie zu Karl Kraus auch die frühe Forschung. Der umfangreiche Nachlass der beiden dokumentiert die Geschichte des Bestandes in der Nachkriegszeit auf vielfältige Weise.

Inhalt und Bedeutung

Das Karl Kraus-Archiv der Wienbibliothek im Rathaus besteht vor allem aus dem Teilnachlass Karl Kraus, der Werke, Briefe, Lebensdokumente, Sammlungen im Umfang von derzeit [Stand: März 2024] über 6.000 Inventarnummern beinhaltet. Auch die Sammlung Karl Kraus / Anita Kössler gehört dazu – sie umfasst Werke, Briefe, Lebensdokumente, Sammlungen im Umfang von 105 Inventarnummern und sechs Archivboxen. Zudem gibt es die Sammlung Prozessakten Oskar Samek / Karl Kraus, die Kraus Rechtsstreitigkeiten in der Ersten Republik im Umfang von 15 Folioboxen dokumentiert. Die Sammlung Paul und Sophie Schick ist ebenfalls engstens mit dem Kraus-Archiv verwoben und umfasst 24 Archivboxen, die speziell das Nachleben von Kraus und die Exilkreise um ihn überliefern. Außerdem ergänzen tausende von Büchern und andere Drucksorten zu Karl Kraus, 14 Plakate, eine 27 Bände umfassende Zeitungsausschnittssammlung und 5 Musikdrucke den Bestand. Nicht zuletzt vervollständigen auch Teilnachlässe und Sammlungen von und zu Ludwig Münz, Berthold Viertel, Detlev von Liliencron, Edwin Hartl, Franz Glück sowie die 2023 angekaufte Sammlung Karl Kraus von Marcel Faust das gesammelte Wissen über Karl Kraus. Tausende von Manuskripten, Fahnen, Briefen und Lebensdokumenten machen Kraus' Werk und seine Praktiken auf verschiedenste Weise erforschbar: In den Manuskripten wird seine genaue Spracharbeit sichtbar, Fahnen zeigen seine Montage- und Zitattechniken, Briefe und Lebensdokumente bezeugen, wie sich seine Haltungen in persönlichen Interaktionen oder Handlungen niederschlugen. Film- und Tondokumente halten Kraus als Vortragenden in 700 Vorlesungen in ganz Mitteleuropa präsent. 200 Rechtsaktenkonvolute belegen, dass er Medien- und Strafgesetz aktiv in seine polemischen Strategien miteinbezog.

Das Karl Kraus-Archiv beinhaltet zahlreiche Korrespondenzen Kraus' mit bedeutenden österreichischen und internationalen Briefpartnerinnen und Briefpartnern – zu nennen sind beispielsweise Peter Altenberg, Alban Berg, Albert Bloch, Bertolt Brecht, Max Brod, Houston Stewart Chamberlain, Albert Ehrenstein, Ludwig von Ficker, Sigmund Freud, Claire Goll, Siegfried Jacobsohn, Gina Kaus, Oskar Kokoschka, Ernst Krenek, Gustav Landauer, Else Lasker-Schüler, Adolf Loos, Thomas und Heinrich Mann, Erich Mühsam, Eugenie Schwarzwald, Kurt Tucholsky, Berthold Viertel, Herwarth Walden, Frank Wedekind und Franz Werfel.

Das Karl Kraus-Archiv beförderte nicht nur eine eindrucksvolle und international seit den 1960er Jahren sehr lebendige Forschung um die Person von Karl Kraus, es bietet auch reichhaltiges Material für Forschungen zur (Wiener) Moderne, für die Analyse des Ersten und Zweiten Weltkriegs, Medientheorie, Literaturwissenschaft und Sprachkritik sowie Politik-, Zeit- und Ideengeschichte. In Österreich, aber auch international, bezogen sich kritische Traditionen auf Kraus – unter ihnen Ludwig Wittgensteins Sprachphilosophie, Theodor Adornos kritische Theorie, Arnold Schönbergs Harmonielehre oder Gerda Lerners Frauengeschichte. All das macht das Kraus-Archiv zu einem wesentlichen österreichischen Wissens- und Erinnerungsraum, der internationale Forscherinnen und Forscher aus verschiedensten Gebieten (Germanistik, Zeitgeschichte, Medientheorie, Austrian Studies etc.) anzieht und dessen Material vielfach für Ausstellungen und durch Museen angefordert wird.

2016 wurde das Karl Kraus-Archiv der Wienbibliothek im Rathaus von der UNESCO in die Liste des Memory of Austria aufgenommen. Am 12. Juni desselben Jahres jährte sich auch zum 80. Mal Karl Kraus' Todestag.

Digitalisierung und Digitale Editionen

Aufgrund verschiedener Gefährdungen durch Klebemedien etc. digitalisierte die Wienbibliothek im Rathaus ihr Kraus-Archiv seit 2012. Große Teile stehen daher in der Wienbibliothek Digital zur Verfügung. Bereits 2006 veränderte die Digitalisierung der Fackel die Kraus-Forschung – die präzise digitale Edition der AAC-Fackel des Austrian Academy Corpus kann elaboriert durchsucht werden und so ganz neue Zusammenhänge aufzeigen, die sich beim noch so gründlichen Lesen nicht erschlossen. Seither folgten andere digitale Editionen um Kraus, die die Digitalisate des Kraus-Archivs einbinden und sie auf neue Weise untersuchbar machen.

Quellen

Literatur

  • Katharina Prager / Simon Ganahl [Hg.]: Karl Kraus-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Berlin: J.B. Metzler 2022
  • Hermann Böhm: Das Kraus Archiv der Wiener Stadt- und Landesbibliothek, in: Heinz Lunzer / Victoria Lunzer-Talos / Marcus G. Patka [Hg.]:„Was wir umbringen“ – ‚Die Fackel‘ von Karl Kraus, Wien 2006, 210-211.
  • Karl Kraus contra ...: die Prozeßakten der Kanzlei Oskar Samek in der Wiener Stadt- und Landesbibliothek. Hg. von Herwig Würtz, bearb. u. kommentiert von Hermann Böhm. Band 1–4. Wien: Wiener Stadt- und Landesbibliothek 1995–1997.
  • Gerald Krieghofer: Bestandsregister für das Karl Kraus-Archiv in der Handschriftenabteilung der Wiener Stadt- und Landesbibliothek, 3 Bd.. Wien – ohne Verlag 1993.
  • Otto Kerry: Karl Kraus. Eine Bibliographie. München: Kösel 1970