48° 12' 21.57" N, 16° 22' 14.19" E zur Karte im Wien Kulturgut
Neuer Markt (1).
Obwohl der Platz erstmals 1234 ("nuiwe market" oder "novum forum") und um 1300 urkundlich erwähnt wird, dürfte seine Entstehung auf die babenbergischen Stadterweiterung um 1200 zurückgehen (die Benennung erfolgte zur Unterscheidung vom Hohen Markt, der für das vergrößerte Stadtgebiet zu klein geworden war).
Bereits 1276 muss er dicht besiedelt gewesen sein, weil durch den Stadtbrand dieses Jahres nach der Überlieferung 150 Häuser seiner Umgebung vernichtet wurden. Der Neue Markt entwickelte sich rasch zum End- beziehungsweise Ausgangspunkt des Warenverkehrs aus und nach dem Süden (Semmeringstraße; Kärnten, Triest und Venedig) sowie zum Hauptumschlagplatz für Getreide und Mehl (Sitz des Mehlgroßhandels, Bestehen von Lagerhäusern [ Mehlgrube, bereits vor 1377 erwähnt]; später inoffizieller Name "Mehlmarkt") und Hülsenfrüchte. Frachter sind beim Neuen Markt ab 1298 nachweisbar, um 1320 neben Getreidehändlern auch Krauthändler, 1429 Melbler (Mehlhändler). Ursprünglich dürfte der Neue Markt ausgedehnter gewesen sein als heute und bis zur Kärntner Straße und Seilergasse gereicht haben; man kann annehmen, dass sich anstelle der heutigen Häuserzeile zwischen Kärntner Straße und Neuem Markt zunächst Kaufläden befanden.
In der Platzmitte stand um die Mitte des 16. Jahrhunderts der Pranger (für jene, die wegen Betrugs an Maß und Gewicht bestraft wurden [1547]); auch die Strafe des Bäckerschupfens wurde anfangs hier vollzogen (1440). Im 15. und 16. Jahrhundert wurden am Neuen Markt auch Turniere und andere Festlichkeiten abgehalten (Stechen und Rennen); so gab es ab 1477 Rennen des kaiserlichen Hofgesindes (zuletzt 1522 nachweisbar). Im 16. Jahrhundert (1547, 1587) und zuletzt noch 1766 findet sich die verkürzte Bezeichnung Neumarkt. Der Neue Markt gehörte durch Jahrhunderte zu den schönsten Plätzen Wiens und war lange Zeit hindurch mit prächtigen Palästen und Bürgerhäusern einheitlich verbaut (von der seinerzeit einheitlichen barocken Verbauung haben sich nur die Häuser Nummer 13-16 erhalten). An der Wende des 17. zum 18. Jahrhundert ließen sich am Neuen Markt Marionettenspieler, Seiltänzer und Glückshafenbesitzer nieder; 1708 errichtete der "Wiener Hanswurst" Josef Anton Stranitzky dort seine Komödienhütte (die er zuvor auf der Freyung aufgestellt hatte). Im 18. Jahrhundert veranstalteten Hof und Adel auf dem Neuen Markt die beliebten Schlittenfahrten; die letzte, besonders prachtvolle Hofschlittenfahrt fand im Kongressjahr 1815 statt. Im 16. Jahrhundert befanden sich auf dem Neuen Markt zwei Brunnen; nach deren Abtragung (1738) wurde 1739 in der Platzmitte der Donnerbrunnen (Providentiabrunnen) errichtet.
Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde der größte Teil der Marktstände auf dem Neuen Markt von Müllern betrieben. Erst die zunehmende Konkurrenz neuer Mühlen im Osten Wiens, von denen Getreide und Mehl per Schiff geliefert und am Schanzel verkauft wurde, ließ den Mehl- und Getreidehandel im Zentrum der Stadt bedeutungslos werden.
Der Neue Markt wandelte sich im Lauf des 19. Jahrhunderts zu einem einfachen Viktualienmarkt, also einem Lebensmittelmarkt. Die Bezeichnung Mehlmarkt für den Neuen Markt hatte jedoch in den allgemeinen Sprachgebrauch Eingang gefunden und geriet erst in der Zeit der Republik langsam in Vergessenheit.
Nach der Elektrifizierung der Straßenbahn wurden einzelne Linien bis zum Neuen Markt geführt (am 28. März 1907 die Linie 61 [bis 18. August 1918], am 16. April 1911 die Linie 59 [bis 10. Oktober 1942], am 16. November 1914 die Linie 58 [bis 10. Oktober 1942]); die endgültige Auflassung der Trasse Ring-Tegetthoffstraße-Neuer Markt erfolgte 1948 (es handelte sich um die einzige Straßenbahntrasse, die einige Jahrzehnte hindurch bis in die Nähe des Stephansplatzes geführt wurde).
Gebäude
- Nr. 2: Am Neubau Gedenktafel für Vinzenz Schumy (1878-1962), der hier bis zu seinem Tod wirkte und sich um die Landwirtschaft hohe Verdienste erwarb. Hotel Meißl & Schadn (das sich später auch auf Nummer 3 ausdehnte); Attentat Friedrich Adlers auf Ministerpräsident Karl Graf Stürgkh (1916). Nach dem Zweiten Weltkrieg Hotel Europa
- Nr. 3: Bürgerspitalhaus (auch "Zum blauen Hirschen") mit dem Spitalkeller (um 1300-1675) beziehungsweise dem Kaffeehaus des Josef Wirschmidt (ein Dorado der Wiener Raucher, in dem auch ein reiches Angebot an Zeitungen einen Anreiz bildete); hier stand bis 1894 das Hoföbstlerische Haus, in dem 1792-1797 Joseph Haydn wohnte und die alte österreichische Volkshymne komponierte
- Nr. 5 (Kärntner Straße 22): Hotel Ambassador (ehemalige Mehlgrube; Ahnenbälle); die "Neue" Mehlgrube diente 1453-1697 als Mehlkasten, später als repräsentative Gastwirtschaft
- Nr. 6: Der ehemalige Gasthof "Zum weißen Schwan", in dem Ludwig van Beethoven Stammgast war, gehörte zu den erstrangigen Gaststätten Wiens; mit ihm ist die Erzählung vom Einzug Ulrichs von Liechtenstein in Wien verknüpft. Hier befand sich die Abfahrtsstelle des Stellwagens nach Neuwaldegg. Das heutige Gebäude wurde 1897/1898 in Formen italienischer Renaissance errichtet
- Nr. 8: ehemaliges Schwarzenbergpalais; Gedenktafel (Geburtshaus von Karl Fürst Schwarzenberg [15. April 1771], Sieger in der Völkerschlacht bei Leipzig [1813])
- Zwischen den Häusern Nr. 8 und Nr. 9 befindet sich, in Verbindung mit der Kapuzinerkirche, die Kaisergruft, die historische Bestattungsstätte der Familie Habsburg(-Lothringen).
- Nr. 9: Sterbehaus von Leopold Auenbrugger (Gedenktafel)
- Nr. 10-11: Auf einem Teil des Areals stand das Haus "Zum roten Dachel", vor dem [Josef Anton Stranitzky|Stranitzky]] seine Theaterhütte aufgeschlagen hatte (bevor er die Bewilligung zum Bau eines steinernen Theaters erhielt); seit 1873 befindet sich im Neubau die Delikatessen- und Spezereienhandlung der Gebrüder Wild.
- Nr. 13: Kupferschmiedhaus (Kupferschmiedgasse); Paternos Kunstladen
- Nr. 14: Hatschierenhaus (Sesselträger)
- Nr. 15: Maysederhaus (Besitz des Josef Mayseder)
- Nr. 16: Kurkonditorei Oberlaa (Oberlaaer Stadthaus)
- Nr. 17: Herrnhuterhaus. Kapuzinergruft, Kapuzinerkirche, Kapuzinerkloster, Pranger.
Pfarrzugehörigkeit bis 1938
Bis 1938 lag die Standesführung in Österreich in den Händen der konfessionellen Behörden. Die Geburts-, Ehe-, und Sterbematriken von katholischen Bewohnerinnen und Bewohnern wurden von der zuständigen Pfarre geführt.
- ab 1898: Orientierungsnummern (ONr.) 1, 2, 3, 4, 17, 18 und 19: Pfarre St. Stefan; Rest: Pfarre St. Augustin
- ab 1902: ONr. 1, 2, 3 und 17: Pfarre St. Stefan; Rest: Pfarre St. Augustin
- ab 1908: ONr. 1, 2, 3, 4, 5, 6 und 17: Pfarre St. Augustin
Siehe auch: Magistratsabteilung 59 - Marktamt
Quellen
Literatur
- Peter Autengruber: Lexikon der Wiener Straßennamen. Bedeutung, Herkunft, frühere Bezeichnungen. Wien: Pichler Verlag 92014, S. 215
- Felix Czeike: Der Neue Markt. Wien [u.a.]: Zsolnay 1970 (Wiener Geschichtsbücher, 4)
- Felix Czeike: Wien. Kunst und Kultur-Lexikon. Stadtführer und Handbuch. München: Süddeutscher Verlag 1976, S. 114 f.
- Felix Czeike: Wien. Innere Stadt. Kunst- und Kulturführer. Wien: Jugend und Volk, Ed. Wien, Dachs-Verlag 1993, S. 121 ff.
- Wilhelm Englmann: Zur Geschichte des Neuen Marktes in Wien, in: Monatsblatt des Altertums-Vereines zu Wien. Wien: Alterthumsverein zu Wien 1884-1918. Band 10, 1913, S. 155 ff.
- Rudolf Geyer: Handbuch der Wiener Matriken. Ein Hilfswerk für Matrikenführer und Familienforscher. Wien: Verlag des Österreichischen Instituts für Genealogie, Familienrecht und Wappenkunde, 1929
- Gustav Gugitz: Bibliographie zur Geschichte und Stadtkunde von Wien. Hg. vom Verein für Landeskunde von Niederösterreich und Wien. Band 3: Allgemeine und besondere Topographie von Wien. Wien: Jugend & Volk 1956, S. 470 f.
- Alexander Hengl: Festschrift 175 Jahre Marktamt. 2014
- Wilhelm Kisch: Die alten Straßen und Plätze von Wiens Vorstädten und ihre historisch interessanten Häuser. (Photomechan. Wiedergabe [d. Ausg. v. 1883]). Cosenza: Brenner 1967, Band 1, S. 162 ff.
- Hans Markl: Die Gedenktafeln Wiens. Wien: ABZ-Verlag 1949, S. 34 f.
- Hans Markl: Kennst du alle berühmten Gedenkstätten Wiens? Wien [u.a.]: Pechan 1959 (Perlenreihe, 1008), S. 58 f.
- Robert Mucnjak: Führer durch Alt-Wien. Innere Stadt. Wien: Der Museumsverein Innere Stadt 1980 (Schriftenreihe des Bezirksmuseums, 3), S. 75 ff.
- Richard Perger: Straßen, Türme und Basteien. Das Straßennetz der Wiener City in seiner Entwicklung und seinen Namen. Wien: Deuticke 1991 (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte, 22), S. 97
- Gabriele Praschl-Bichler: Wien speziell. Architektur des Barock. Wo finde ich Schlösser, Palais, Öffentliche Profanbauten, Kirchen, Klöster, Bürgerhäuser, Denkmäler, Brunnen, Museen, Sammlungen in Wien. Wien: Christian Brandstätter Verlag 1990, S. 29 f.
- Justus Schmidt / Hans Tietze: Dehio Wien. Wien: A. Schroll 1954 (Bundesdenkmalamt: Die Kunstdenkmäler Österreichs), S. 87
- Emmerich Siegris: Alte Wiener Hauszeichen und Ladenschilder. Wien: Burgverlag 1924, S. 80