Nervenheilanstalten
Nervenheilanstalten, Psychiatrische Kliniken (Neurologie).
1) Bürgerspital
Bis ins 18. Jahrhundert war die ärztliche Behandlung "Geisteskranker" völlig unzulänglich; man sperrte die Patienten in abgesonderte, vergitterte Räume ein, wo sie angekettet und wie wilde Tiere behandelt wurden. Nur in Einzelfällen sorgten begüterte Familienangehörige für eine Isolierung in Privathäusern; die große Mehrzahl der Geisteskranken wurde hingegen in öffentlichen Krankenhäusern, getrennt von den übrigen Patienten, verwahrt. In Wien kam dafür vor allem das Siechenhaus St. Marx (3., Landstraßer Hauptstraße 173-175, Rennweg 95) in Betracht (das 1706 der Verwaltung des Bürgerspitals unterstellt wurde), daneben auch das Bürgerspital selbst (das 1530 aus der Vorstadt vor dem Kärntnertor ins einstige Klarakloster der Clarissen in der Stadt verlegt wurde und in dem es einen "Kotter" für Irre gab).
2) Allgemeines Krankenhaus
1784 ordnete Joseph II. die Verbringung aller Kranken in das zum Allgemeinen Krankenhaus umgestaltete ehemalige Großarmenhaus (für Invalide und Arme) an (9., Alser Straße 4, Spitalgasse 2). Im selben Jahr entstand nahe der Sensengasse nach dem Entwurf von Isidore Canevale ein "Irrenturm" (im Volksmund Narrenturm), wo für eine bessere Behandlung der Geisteskranken Sorge getragen wurde (Belag bis 1866).
3) Niederösterreichische Landesirrenanstalt
Bald nach der Erbauung des Narrenturms durch Joseph II. wurde das Bedürfnis wach, eine auch hinsichtlich der Bauweise auf wissenschaftlichen Grundsätzen basierende Heilanstalt für "Geisteskranke" ("Irre") zu errichten. Die vom Brünnlbad abgeteilten und durch Dr. Leopold Pläch von Seinsberg erworbenen Ackergründe kamen 1821 in das Eigentum von Josef Fürst Schwarzenberg. 1822 kaufte der Staat den ganzen Komplex am sogenannten Brünnlfeld an, um auf diesem eine neuesten Erkenntnissen entsprechende "Irrenanstalt" zu errichten (9., Lazarettgasse 14). Die Realisierung des Projekts verzögerte sich aber beträchtlich. Erst im April 1848 kam der Plan zur Ausführung. Im Oktober 1852 war der Bau (nach Plänen von Ferdinand Fellner des Älteren beziehungsweise nach Entwürfen des Rats Nadherny) vollendet und der Benützung übergeben (ab 1853 wurde er belegt). Zu Erweiterungen kam es 1878 und 1903; die Anstalt wurde bis zur Fertigstellung der Niederösterreichischen Heil- und Pflegeanstalt für Geistes- und Nervenkranke Am Steinhof belegt. Zu den prominentesten Patienten zählten der Arzt Ignaz Philipp Semmelweis († 1865) und der Bildhauer Anton Dominik Fernkorn († 1878). Als die Anlage Am Steinhof errichtet wurde, entstand neben der Anstalt 1904-1911 der Neubau von Universitätskliniken, der 1922 (nach der Trennung Wiens von Niederösterreich) in das Eigentum der Stadt Wien überging. Das Gebäude, in dem später die Psychiatrisch-Neurologische Universitäts-Klinik untergebracht war, fiel schließlich dem Neubau des AKH zum Opfer.
Das Notenarchiv der Landesirrenanstalt befindet sich in der Musiksammlung der Wienbibliothek im Rathaus.
4) Niederösterreichische Heil- und Pflegeanstalt Am Steinhof
Die Niederösterreichische Heil- und Pflegeanstalt Am Steinhof (14., Baumgartner Höhe 1) wurde 1904-1907 wurde nach dem Generalkonzept von Otto Wagner nach damals modernsten Grundsätzen im Pavillonsystem errichtet. Die 1913 geweihte Anstaltskirche ist das bedeutendste sakrale Bauwerk des Jugendstils in Wien.
5) Nervenklinik für Kinder
6) Nathaniel Freiherr von Rothschild'sche Stiftung für Nervenkranke in Wien
Als Nathaniel Freiherr von Rothschild'sche Stiftung für Nervenkranke in Wien des Nathaniel Freiherr von Rothschild († 13. Juni 1905) entstanden zwei Nervenheilanstalten: die eine, das Neurologische Krankenhaus am Rosenhügel (13., Riedelgasse 5, wurde 1912 eröffnet, die andere, das Neurologische Krankenhaus Maria-Theresien-Schlössel in Döbling (19., Hofzeile 18-20), wurde 1914 eröffnet. Die Stiftung wurde nach dem Anschluss vom NS-Regime aufgelöst ("arisiert") und Anstalten und verbliebenes Stiftungsvermögen gingen 1939 ins Eigentum der Gemeinde Wien über, die sie als "Neurologische Krankenhäuser der Stadt Wien" führt; die Stiftung wurde 1956 neu errichtet und mit der Gemeinde Wien 1963 ein Vergleich geschlossen, der die Fortführung als städtische Krankenanstalten ermöglichte.
7) Privatirrenanstalt Görgen
Neben diesen öffentlichen Heilanstalten gab es eine private, von Dr. Bruno Görgen 1820 im Mollardschlössel (6., Wallgasse 1-3) eröffnete Nervenheilanstalt, die 1831 in die für diesen Zweck angekaufte vormalige Heniksteinvilla (19., Obersteinergasse 18-20) verlegt wurde. Die Hauseigentümer Dr. Bruno Görgen († 1842) und sein Sohn Dr. Heinrich Görgen († 1860) fungierten auch als Leiter der Klinik, zu deren bekanntesten Patienten Nikolaus Lenau († 1860) und Stephan Graf Szechenyi († Freitod 1860) gehörten. Nach dem Tod von Heinrich Görgen pachteten und leiteten Dr. Maximilian Leidesdorf (1860-1869), Dr. Heinrich Obersteiner der Ältere (1869-1872) und Dr. Heinrich Obersteiner der Jüngere (1872-1922) die Anstalt, deren Betrieb erst 1983 eingestellt wurde.
8) Privatirrenanstalt Therese Pabst
Die Privatirrenanstalt von Therese Pabst befand sich anfangs auf der Mölkerbastei (Teinfaltstraße 8-8A, Klepperstallungen) und übersiedelte 1848 in die Erdberger Hauptstraße 7 im 3. Bezirk (Privatirrenanstalt Therese Pabst). Nach dem Tod von Therese Pabst im Jahr 1878 übernahm Wilhelm Svetlin gemeinsam mit seinem Fachkollegen Johann Zimmermann die (Anstalt und führte diese ab 1881 allein unter der Bezeichnung "Privatheilanstalt Svetlin für Nerven- und Gemütskranke". 1884 übersiedelte Svetlin das Institut in die von ihm in der Leonhardgasse 3–5 erbaute Privatanstalt.
9) Nervenheilanstalt Wilhelm Svetlin
Die Nervenheilanstalt Wilhelm Svetlin (3., Leonhardgasse 3-5) wurde 1883/1884 nach Plänen von Eduard Hauser erbaut und bis 1890 durch Eduard Frauenfeld erweitert (Aufnahmekapazität 70 Kranke). Die Anstalt enthielt auch fünf Isolierzellen mit Spezialeinrichtungen für "unruhige Kranke". Ursprünglich befand sich die Anstalt in der Erdbergstraße 7-9. Zu seinen Patienten zählten der Maler Carl Schuch und der Schauspieler Karl Wilhelm Meixner, weiters befand sich hier ab 20. September 1897 vier Monate lang der Komponist Hugo Wolf in Pflege. Die Heilanstalt wurde Ende 1925 geschlossen.
10) Sanatorium Hacking
Das Sanatorium Hacking beziehungsweise auch "Sanatorium für Nervenleidende" (13., Auhofstraße 189) wurde 1887/1888 von Univ.-Prof. Dr. Moritz Rosenthal gegründet und mehrmals erweitert. Es befand sich zwischen Seuttergasse und Auhofstraße. 1930 wurde das zum Verkauf stehende Gebäude von den Salvatorianerinnen gekauft und im selben Jahr das St. Josef Krankenhaus eröffnet.
Literatur
- Michael Altmann: Das Wiener Bürgerspital. Zur Erinnerung an die Eröffnung des neuen Bürger-Versorgungshauses in der Alservorstadt. Wien: L. C. Zamarski & C. Dittmarsch 1860, S. 20, S. 67
- Peter Berner / Walter Spiel / Hans Strotzka / Helmut Wyklicky: Zur Geschichte der Psychiatrie in Wien. Eine Bilddokumentation = Psychiatry in Vienna. Wien: Brandstätter 1983
- Felix Czeike: IX. Alsergrund. Wien [u.a.]: Jugend & Volk 1979 (Wiener Bezirkskulturführer, 9)
- Felix Czeike: XIII. Hietzing. Mit ausführlicher Beschreibung, Karten- und Grundrißskizzen von Schönbrunn. Wien [u.a.]: Jugend & Volk 1982 (Wiener Bezirkskulturführer, 13)
- Felix Czeike: XIV. Penzing. Wien [u.a.]: Jugend & Volk 1980 (Wiener Bezirkskulturführer, 14)
- Die Landstraße in alter und neuer Zeit. Ein Heimatbuch. Hg. von Landstraßer Lehrern. Wien: Gerlach & Wiedling 1921, S. 266 (zu 8 und 9)
- Franz Englisch: Die Döblinger Privatirrensanstalt. In: Wiener Geschichtsblätter 24 (1969), S. 398 ff.
- Bernhard Grois: Das Allgemeine Krankenhaus in Wien und seine Geschichte. Wien: Maudrich 1965, S. 102 ff.
- Carl Hofbauer: Die Alservorstadt mit den ursprünglichen Besitzungen der Benediktinerabtei Michelbeuern am Wildbache Als. Wien: Sommer 1861, S. 85, S. 166 f.
- Helmut Kretschmer: XIX. Döbling. Wien [u.a.]: Jugend & Volk 1982 (Wiener Bezirkskulturführer, 19) (unter den jeweiligen Adressen)
- Erna Lesky: Die Wiener medizinische Schule im 19. Jahrhundert. Wien [u.a.]: Böhlau 1965 (Studien zur Geschichte der Universität Wien, 6), S. 175 ff., S. 373 ff.
- Leopold Senfelder: Öffentliche Gesundheitspflege und Heilkunde, in: Geschichte der Stadt Wien. Hg. vom Altertumsverein zu Wien. Band 6. Wien: Holzhausen 1916, S. 251
- Herbert Suchanek-Fröhlich: Das sogenannte „Maria-Theresien-Schlössel" in der Hofzeile. In: Döblinger Museumsblätter 82-83 (1965)
- Helmut Wyklicky / Manfred Skopec [Hg.]: 200 Jahre Allgemeines Krankenhaus in Wien. Wien [u.a.]: Jugend und Volk 1984