Künstlerische Avantgarde der Nachkriegszeit

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Letzte Änderung am 15.11.2024 durch WIEN1.lanm08wei

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Im Nachkriegs-Wien versuchte eine kleine Gruppe von Avantgarde-Künstlern unter Förderung von Kulturstadtrat Viktor Matejka eine antifaschistische Gegenkultur zu etablieren

Der Aufbruch der künstlerischen Avantgarde in der Nachkriegszeit 1945–1948

Die Entmachtung des NS-Regimes 1945 bedeutete für Künstler das Ende von ideologischer Bevormundung, Zensur und Berufsverbot. In Literatur und bildender Kunst entwickelte sich eine neue Avantgarde – Galerien und Kultur-zentrierte Zeitschriften wurden gegründet. Als Initiator gilt Wiens Kulturstadtrat Viktor Matejka, der 1946 mit dem Auftrag zur Erstellung der Ausstellung „Niemals Vergessen!“ ein deklariert antifaschistisches Signal setzte. Hier wurden der mörderische Terror des NS-Regimes und der Wiederaufbau nach Kriegsende thematisiert. Zudem engagierte sich Matejka in Briefen und Aufrufen für die Rückkehr exilierter Künstler. Bemerkenswert aus dieser Epoche bleibt auch das kurze Revival des Surrealismus in Wien. Die Währungsreform, der Beginn des Kalten Kriegs und der kollektive Freispruch für die „minderbelasteten“ ehemaligen Nationalsozialisten setzten dieser Aufbruchsstimmung Mitte 1948 ein rasches Ende. Der rasche Wandel der gesellschaftspolitischen Perspektive lässt sich an den offiziellen Briefmarken dieser Jahre festmachen: 1945 wurde aus Papiermangel noch das mit „Österreich“ überstempelte Hitler-Porträt aus der NS-Zeit verwendet, 1946 kam parallel zur Ausstellung die Serie „Niemals vergessen!“ heraus, 1947 standen schon die Kriegsheimkehrer im Fokus und die 1948 produzierten zwei Serien mit Trachten und Blumengestecken wurde noch bis weit in die Nachkriegszeit hinein weitergedruckt.

Surrealismus als Antifaschismus

Der Surrealismus propagierte die Aufhebung jeder Ordnung und manifestierte sich vor allem in der bildenden Kunst und in der Literatur. Er entstand in den 1920er-Jahren um André Breton in Paris als Reaktion auf das Diktat der Technik und eines rücksichtslosen Machbarkeitsdenkens und setzte stattdessen auf das Irrationale und Unerwartete. Das Erstarken von autoritärem Denken und dementsprechenden politischen Parteien in ganz Europa förderte als Reaktion darauf auch die künstlerische und gesellschaftliche Bedeutung des Surrealismus. Als bedeutendster Vertreter aus Österreich gilt Wolfgang Paalen, der seine Karriere aber außerhalb von Österreich begann und nach dem Krieg in seinem mexikanischen Exil blieb. Auch der Austrofaschismus verlangte ab 1933 eine ideologisch auf den konstruierten Begriff „Heimat“ ausgerichtete und linientreue Kunst in allen Sparten. Dennoch gab es zaghafte Versuche, den Kontakt an die internationale Kunstwelt nicht zu verlieren, was ab März 1938 vom NS-Regime und schließlich vom Zweiten Weltkrieg komplett verunmöglicht wurde. Künstlerische Aufbruchsstimmung nach dem Krieg

Nur wenige Künstler folgten nach 1945 dem Aufruf von Viktor Matejka zur Rückkehr. Das zerbombte und hungernde Wien bot keine Entfaltungsmöglichkeiten, zudem lebte der Geist des Nationalsozialismus noch intensiv in den Köpfen vieler seiner BewohnerInnen. Der Maler Oskar Kokoschka kam erst 1947 zu Besuch und siedelte sich später in der Schweiz an. Der Bildhauer Fritz Wotruba kam auf Initiative von Herbert Boeckl aus dem Schweizer Exil zurück und erhielt eine Professur an der Akademie der Bildenden Künste in Wien. Albert Paris Gütersloh hatte unter dem NS-Regime Berufsverbot und wurde 1945 ebenso an die Akademie berufen, beide fungierten als Unterstützer einer neuen Generation. Ein Teil davon formierte sich um den Maler Edgar Jené sowie den Schriftsteller und Redakteur Otto Basil in dessen Zeitschrift Plan. Im Februar 1947 wurde der Art-Club als internationaler und unabhängiger Künstlerverband ins Leben gerufen. Anfangs hatte er großen Zulauf, doch bald kam Kritik an der Dominanz der „akademischen Maler“ im Vorstand auf. Im März 1948 trat eine Gruppe bestehend aus Edgar Jené, Arnulf Neuwirth, Franz Rogler, Rudolf Hoflehner, Rudolf Pointner und dem Dichter Paul Celan wieder aus, um eine surrealistische Ausstellung in der Agathon Galerie zu gestalten, die am 24. März 1948 eröffnet wurde.

Die Agathon Galerie

Während der NS-Zeit gehörte die Galerie am Opernring 19 Hitlers persönlichem Fotografen Heinrich Hoffmann. 1945 bestellte Ernst Fischer den Künstler und Publizisten Leopold Wolfgang Rochowanski zum Öffentlichen Verwalter der Liegenschaft. Dieser gründete hier die Agathon-Galerie und den gleichnamigen Verlag, bei der Eröffnung am 9. April 1946 war Viktor Matejka zugegen. Josef Hoffmann gestaltete die neue Fassade zur Straße hin. Hier stand die zeitgenössische Kunst im Vordergrund, die ersten Ausstellungen waren Franz Čižek, Franz Senkinc, Ceno Kosak, Erwin Lang und Marijan Matijević gewidmet. Zudem trat Rochowanski in Kontakt mit exilierten Künstlern wie Erwin Lang, Georg Ehrlich und Oskar Kokoschka sowie dem Architekten Ernst Lichtblau. Drei Ausgaben der Zeitschrift „Die schönen Künste“ wurden publiziert. Sie enthielt neben Berichten zu den jüngsten Arbeiten der heimgekehrten Künstler Fritz Wotruba, Clemens Holzmeister oder Joseph Floch etliche Beiträge zum internationalen Kunstgeschehen, zum Realismus ebenso wie zur amerikanischen naiven Malerei. Prunkstück des Verlags war der über drei Jahre hin erscheinende Agathon-Almanach, die einen Querschnitt von Literatur, Kunst und Musik seit 1900 gab, wobei ein Schwerpunkt auf den verdrängten Avantgardisten lag. So finden sich hier auch Notenbeispiele von Josef Mathias Hauer, Ernst Krenek und Joseph Marx. Außerdem gab Rochowanski vier Hefte der Zeitschrift „Litterarische Welt“ (1946/47) heraus. Surrealismus in Wien

Am 3. April 1948 fand in der Agathon Galerie eine Lesung surrealistischer Lyrik statt, an der auch Paul Celan beteiligt war, der auf seiner Flucht von Bukarest nach Paris hier Station machte. Dies war auch als Gegenveranstaltung zur Eröffnung der I. Jahresausstellung des Wiener Art-Clubs in der Wiener Kunsthalle am selben Abend zu verstehen. Das Revival des Surrealismus in Wien blieb letztendlich epigonal, weil es sich nur auf das Irrationale bezog und keine politische Sprengkraft entwickelte. Jené gab zusammen mit Max Hölzer um 1950 noch zwei Ausgaben der „Surrealistischen Publikationen“ heraus, damit war diese Episode beendet. Andererseits hatte Jené großen Einfluss auf einige Mitglieder der sich konstituierende Schule des Wiener Phantastischen Realismus wie Ernst Fuchs, Rudolf Hausner und Wolfgang Hutter. Diese hatten viel von Jenés Atelier am Althanplatz 6, seiner reich bestückten Bibliothek und den bei Künstlerfesten geknüpften Kontakten profitiert. Auch das Agathon-Projekt geriet bald in die finanzielle Krise und wurde geschlossen. 1953 gelang es Heinrich Hoffmann auf juristischem Weg, die Liegenschaft zurück zu erhalten.

Publikationen für neue Literatur

Im Bereich Literatur und zeitkritischem Kommentar entstanden nach 1945 diverse Zeitschriften: Otto Basil hatte bereits vor dem „Anschluss“ die ersten Hefte des „Plan“ herausgegeben, nun setzte er dies fort. Das rote Titelblatt lässt den Geist der „Fackel“ von Karl Kraus erkennen. Das Redaktionskollektiv traf sich im Stockwerk über der Agathon-Galerie und hatte sich dem Aktivismus verschrieben, zugleich fungierte es als offenes Diskussionsforum der dort publizierenden Autoren. Darunter finden sich Ilse Aichinger, Peter Demetz, Milo Dor, Reinhard Federmann, Michael Guttenbrunner, Hans Heinz Hahnl, Friedericke Mayröcker, Johann Muschik, Hermann Schreiber und sogar Paul Celan mit dem Erstabdruck der „Todesfuge“. Die Bandbreite der Beiträge reichte von Erzählungen, Dramen und Gedichten über Literatur und Musiktheorie bis zu Rezensionen zu Ausstellungen, Theaterinszenierungen und Büchern. Breiten Raum nahm die Auseinandersetzung mit der Nachkriegszeit, die Vermittlung französischer Literatur und die bildenden Kunst ein, so finden sich etliche Zeichnungen von Jené. Engagiert wurde die Debatte um den Nationalsozialismus geführt. Rudolf Geist verfasste einen für die Nachkriegszeit singulären Aufruf: „Wir rufen die jüdischen Autoren, Dichter, Wissenschaftler, Politiker, Essayisten und Künstler hiermit auf, ihr Wort in Österreich für den ersten Tag der Weltrunde zu erheben (…) mit uns und allen Antifaschisten Garanten der Weltsicherheits-Charta und des Weltverbandes der Vereinten Nationen zu sein.“

In Salzburg war es der gebürtige Wiener Ernst Schönwiese, der als Herausgeber von „Das Silberboot“ fugierte. Auch hier waren die ersten Hefte bereits vor 1938 erschienen, die Zeitschrift setzte sich für die literarischen Erneuerer des 20. Jahrhunderts wie Hermann Broch, William Faulkner, Albert Paris Gütersloh, James Joyce, Franz Kafka, Robert Musil, Marcel Proust und Rainer Maria Rilke ein. Der Avantgarde stand sie eher ablehnend gegenüber. Im Auftrag des PEN-Clubs rief Hermann Hakel den „Lynkeus“ (1948–1951) ins Leben, wo unter anderem Ingeborg Bachmann, Gerhard Fritsch und Reinhard Federmann erste Texte veröffentlichten. Die Auseinandersetzung mit der Kriegszeit führte zu den wenigen Ergebnissen einer österreichischen „Trümmerliteratur“. Das linke Lager unterschiedlicher Schattierung versammelte sich um die Zeitschrift „Das österreichische Tagebuch“ und das katholische um „Der Turm“. Willy Forsts Zeitschrift „Film“ reflektierte zwar auch einige Aspekte der Nachkriegszeit und setzte sich für die Rückkehr von exilierten KünsterInnen ein, hatte generell aber eher Boulevard-Charakter.

Literatur

  • Otto Breicha/Gerhard Fritsch (Hg.): Aufforderung zum Mißtrauen. Literatur, bildende Kunst und Musik in Österreich nach 1945. Salzburg: Residenz 1976
  • Otto Breicha: Der Art Club in Österreich, Zeugen und Zeugnisse eines Aufbruchs. Wien/München 1981
  • Peter Goßens/Marcus G. Patka (Hg.): Displaced-Paul Celan in Wien 1947/48. Frankfurt am Main 2001
  • Gerhard Habarta: Frühe Verhältnisse. Kunst in Wien nach 45. Wien 1996
  • Marcel Jean: Geschichte des Surrealismus. Köln 1961
  • Rüdiger Wischenbart: Literarischer Wiederaufbau in Österreich 1945–1949. Königstein im Taunus 1983