Kommunalfriedhöfe
Die fünf Kommunalfriedhöfe ("communale Leichenhöfe") waren in den Jahren 1783 und 1784 außerhalb des Linienwalls angelegte Friedhöfe, nachdem 1782 durch Kaiser Joseph II. ein Verbot für die Beisetzung in katholischen Kirchen sowie die Auflassung der in den Vorstädten bestehenden Friedhöfe erging. Infolge der Eröffnung des Zentralfriedhofs am 1. November 1874 wurde die Sperre und Auflassung dieser fünf Friedhöfe beschlossen. In den 1920er-Jahren wurden diese in Parkanlagen nahe der Gürtelstraße umgewandelt, als einziger hat sich der St. Marxer Friedhof erhalten.
Hygienefrage
Die Bemühungen, die Friedhöfe aus der Stadt zu verbannen, lassen sich bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen und wurden auch durch die Pestepidemien ausgelöst, die aufgrund der hygienischen Missstände viele Städte, darunter auch Wien, heimsuchte. So zeigte am 19. Mai 1688 die N. Ö. Regierung „denen von Wienn“ an, dass die Gräber auf dem „St. Stephans freidhof“ zu seicht und nicht tief genug gegraben würden, wodurch ein übler Geruch entstände und man daher auch Angst vor daraus entstehenden Krankheiten hätte. Die Regierung befahl daher, die Gräber auf dem Friedhof tiefer zu graben. Die Angst, dass die aus der Erde aufsteigenden, giftigen Ausdünstungen (Miasmen) von verwesenden Tiere, Menschen oder verrottenden Pflanzen Seuchen auslösen würden, geht auf Hippokrates (um 460–375 vor Christus) zurück.
Adäquate Reformversuche scheiterten am Traditionalismus der Bevölkerung. Erst im Zeitalter der Aufklärung und im Rahmen der Josephinischen Reformen konnte das Bestattungswesen grundlegend erneuert werden. Kraft einer neuen Seuchen- und Hygieneverordnung wurde die Schließung der innerstädtischen Friedhöfe angeordnet und die Beisetzungen vor die Stadttore verlegt. Die wenigen Ausnahmen waren die Kapuzinergruft, die Stephansgruft und das Salesianerinnenkloster.
Vorgeschichte und Planung
Die alten Kirchhöfe
Fast jede Pfarre in der Stadt und den Vorstädten besaß vom Mittelalter bis spätestens in die 1780er-Jahre einen um die Kirche bestehenden Friedhof, beispielhaft seien der Michaelerfreithof (bis 1660), der Stephansfreithof (1255-1732) oder der Schottenfreithof (bis 1765) genannt beziehungsweise in der Alservorstadt der Mariazeller Gottesacker (1570-1783) und der Nikolaifriedhof (1563-1784) auf der Landstraße.
Viele Kirchhöfe wurden schon lange vor 1783 aufgelassen, so der Ruprechtsfriedhof 1269, der Petersfreithof im 13. Jahrhundert, der Augustinerfriedhof 1460 und der Predigerfreithof im 16. Jahrhundert. 1782 erließ Kaiser Joseph II. . Mit den Hofdekreten vom 11. November 1783 und 24. August 1784 verbot Joseph II. im Rahmen seines Reformprogramms alle Gruftbestattungen beziehungsweiseein für Beerdigungen in Kirchen sowie die Auflassung sämtlicher innerhalb des Linienwalls gelegenen Friedhöfe und der in den Vorstädten bestehenden Friedhöfe. Die Friedhöfe innerhalb der Linien sollten durch neue, außerhalb des Linienwalls gelegene, ersetzt wurden. Als Grund wurde in einem Patent zur Schließung aller Friedhöfe innerhalb der Linien vom 31. Dezember 1783 angeführt, dass eine jährliche Verwesung von mehr als 10.000 Leichen einen schädlichen Einfluss auf das Gesundheitswesen haben müssen, vor allem da in der bewohnten Stadt durch die dichte Verbauung mit hohen Gebäuden die Luft nicht durchziehen kann. Es sollten fünf "communale Leichenhöfe" (Kommunalfriedhöfe) in angemessener Entfernung außerhalb der Linien angelegt werden.
Ab dem 1. Jänner 1784 war die Beisetzung auf den alten innerstädtischen Friedhöfen untersagt. Die Niederösterreichische Regierung stellte Überlegungen zur künftigen Gestaltung dieser Plätze an, unter anderem zur Parzellierung zu Marktplätzen und auch erste Ansätze der späteren "Friedhofsaktion". Der Nikolaifriedhof etwa wurde zu einem Platz umgewandelt, auf dem sich der Augustinermarkt ansiedelte.
Planung der Kommunalfriedhöfe
Einem Bericht der Niederösterreichischen Regierung vom 12. Februar 1783 wurde die Idee von vier außerstädtischen Friedhöfen zugunsten eines "Zentralfriedhofs" vor der Matzleinsdorfer Linie abgewandelt, das erzbischöfliche Konsistorium plante ebenso einen "allgemeinen" Leichenhof, der auch Nichtkatholiken aufnehmen sollte. Dieser zentrale Friedhof sollte aus dem Nikolsdorfer Friedhof entstehen, jedoch musste vor der Erweiterung mit den Grundherrschaften (Laurenzerkloster, Erzbistum und Starhemberg) verhandelt werden. Daneben wurde die Errichtung eines zweiten Friedhofs vor der St. Marxer Linie vorgesehen.
Zwischen März und August 1783 wurde im Magistrat die Idee eines "Zentralfriedhofs" verworfen und schlussendlich die Planung von vier Friedhöfen vorgeschlagen. Diese sollten nächst der St. Marxer, Matzleinsdorfer, Lerchenfelder und Mariahilfer Linie entstehen; anstelle des späteren Währinger Allgemeinen Friedhofs wünschte der Magistrat den Ausbau des Lichtentaler Friedhofs. Neben all diesen Konzepten kursierte die Idee eines sechsten Friedhofs in der Brigittenau. In einem Dekret der Niederösterreichischen Regierung vom 22. September 1783 an das Erzbischöfliche Konsistorium und den Magistrat enthält bereits recht genaue Anweisungen über die Errichtung der fünf neuen Friedhöfe vor dem Linienwall; die Idee des Ausbaus des Lichtentaler Friedhofs war bereits verworfen worden. Ebenso wurde Ende des Jahres 1783 die Idee eines Friedhofs für die Leopoldstädter Pfarren wegen der Hochwassergefahr skartiert, doch wurde die Beisetzung der Verstorbenen aus diesen Pfarren auf dem St. Marxer Friedhof erlaubt.
Die fünf realisierten Kommunalfriedhöfe waren die folgenden:
- St. Marxer Friedhof
- Matzleinsdorfer Katholischer Friedhof,
- Hundsturmer Friedhof
- Schmelzer Friedhof
- Währinger Allgemeiner Friedhof (nicht zu verwechseln mit dem Währinger Ortsfriedhof[1])
Die Kosten für die Errichtung der neuen Friedhöfe sollten minderbemittelten Pfarren aus dem Religionsfonds und dem Erlös aus dem Verkauf der alten Friedhöfe vorgeschossen werden, wogegen die reicheren Pfarren sofort bezahlen müssten. Das Dekret vom 22. September 1783 befasste sich bezüglich der Standortfrage nur mit dem St. Marxer Friedhof, der Standort des Matzleinsdorfer Friedhofs war bereits durch die Lage des alten Nikolsdorfer Friedhofs vorbestimmt. Im Schlussteil des Dekrets wurden Magistrat und Konsistorium aufgefordert, sich um Begräbnisplätze für jüdische, türkische und griechisch-orthodoxe Bewohnerinnen und Bewohner zu kümmern.
Das Ende der Kommunalfriedhöfe
Sperre der Kommunalfriedhöfe
Im Verlauf von rund 90 Jahren wurden die Kommunalfriedhöfe so stark belegt, dass an einen geeigneten Ersatz gedacht werden musste. So kam es nach langwierigen Verhandlungen zur Errichtung des Zentralfriedhofs in Simmering, dessen Notwendigkeit der Gemeinderat bereits 1861 erkannt hatte und der am 1. November 1874 eröffnet werden konnte.
Am 10. Oktober 1874 ordnete der Magistrat wegen des neuen Zentralfriedhofs die Schließung der Kommunalfriedhöfe beziehungsweise die Sperre für Beerdigungen an, wogegen Beschwerde erhoben wurde. Die Niederösterreichische Statthalterei bestätigte zwar am 22. Dezember 1874 den Beschluss, ließ jedoch für einen Zeitraum von fünf Jahren Beisetzungen für bestehende Grüfte zu. Am 2. Mai 1884 beschloss der Gemeinderat die Überführung von historisch bedeutenden Persönlichkeiten auf den Zentralfriedhof, wofür der damalige Stadtarchivdirektor Karl Weiß ein "Gräberbuch über die Friedhöfe Wiens und der Vororte" anlegte.[2]
Nichtsdestoweniger kam es jahrzehntelang zu keiner Räumung der Friedhöfe, so war laut Verwaltungsbericht der Stadt Wien 1888 kein Anlass für eine gänzliche Auflassung vorhanden, weil nach wie vor viele Gräber und Grüfte von den Angehörigen gepflegt wurden. 1900 beschloss der Stadtrat die Umwandlung der Kommunalfriedhöfe in Parkanlagen sowie die Errichtung von Gräberhainen (Gräberhain Waldmüllerpark, Gräberhain Schubertpark).
"Friedhofsaktion"
Diese Umwandlung zu Parkanlagen wurde in den 1920er-Jahren im Rahmen der Gesundheits- und Sozialpolitik des "Roten Wien" realisiert (Friedhofsaktion). Zahlreiche auf den Kommunalfriedhöfen Bestattete wurden exhumiert und auf andere Friedhöfe - besonders den Zentralfriedhof - überführt.
- Der Währinger Allgemeine Friedhof wurde zum Währinger Park (Eröffnung 1923) umgewandelt.
- Der Matzleinsdorfer Friedhof wurde zum Waldmüllerpark (Eröffnung 1923) umgewandelt.
- Der Währinger Ortsfriedhof ist heute der Schubertpark (Eröffnung 1925).
- Der Hundsturmer Friedhof wurde 1926 als Haydnpark eröffnet.
- Anstelle des Schmelzer Friedhofs befinden sich der 1928 eröffnete Märzpark und die 1958 eröffnete Stadthalle.
Der St. Marxer Friedhof blieb als einziger der fünf Kommunalfriedhöfe weitgehend erhalten.
Quellen
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Friedhofsbücher und Sterbeverzeichnisse, 2 - Kommunalfriedhöfe
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Handschriften, A 111.1 - Gräberbuch über die Friedhöfe Wiens, 1877-1884
Literatur
- Währing. Ein Heimatbuch des 18. Wiener Gemeindebezirks. Wien: Selbstverlag Währinger Heimatkunde 1923-1925, S. 611 ff.
- Werner T. Bauer: Wiener Friedhofsführer. Genaue Beschreibung sämtlicher Begräbnisstätten nebst einer Geschichte des Wiener Bestattungswesens. Wien: Falter-Verlag 1988
- Alexander Glück: Mozarts letzte Ruhe. Der Biedermeierfriedhof von Sankt Marx. Halle an der Saale: Mitteldeutscher Verlag 2012.
- Christine Klusacek, Kurt Stimmer: Rudolfsheim-Fünfhaus. Wien: Mohl 1978, S. 88-91.
- Christine Klusacek / Kurt Stimmer: Währing. Vom Ganserlberg zum Schafberg. Wien: Mohl 1989, S. 186 ff., 219
- Anton Lang: Vom Nikolsdorfer Friedhof zum Waldmüllerpark. Ein Beitrag zur Geschichte des katholischen Matzleindorfer Friedhofs in Wien-Favoriten. In: Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien, 44/45. Wien: Verein für Geschichte der Stadt Wien 1988/1989, S. 92 ff.
- Franz Knispel: Zur Geschichte der Friedhöfe in Wien. Wien: Wiener Stadtwerke - Städtische Bestattung 1992, Band 2
Referenzen
- ↑ Der Währinger Ortsfriedhof zählt streng genommen nicht zu den Kommunalfriedhöfen, wurde aber in der maria-theresianischen beziehungsweise josephinischen Zeit angelegt.
- ↑ Wiener Stadt- und Landesarchiv, Handschriften, A 111.1 - Gräberbuch über die Friedhöfe Wiens, 1877-1884.