Groß-Wien im Krieg
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Der "Anschluss" und seine Folgen
Bereits am Tag nach dem "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich am 12. März 1938 begannen die Nationalsozialisten die "Gleichschaltung" umzusetzen und nahmen zentrale Positionen in Politik und Verwaltung ein. Josef Bürckel wurde zum kommissarischen Leiter der NSDAP und Ernst Kaltenbrunner zum Staatssekretär für das Sicherheitswesen und wenig später zum Chef des gesamten Polizeiapparats in der "Ostmark" ernannt. Wiener Bürgermeister wurde, nachdem episodenhaft der Erste Vizebürgermeister und Heimwehrführer Fritz Lahr die Macht übernommen hatte, am 13. März 1938 Hermann Neubacher.
Siehe auch: Anschluss, Nationalsozialismus, Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei
Groß-Wien entsteht
Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme ging das Regime rasch daran, das der nationalsozialistischen Städteplanung eigene Konzept der Schaffung von territorial stark erweiterten Großstädten auch im Fall Wiens umzusetzen. Vorbild für die Schaffung von "Groß-Wien" war die 1937 erfolgte Stadterweiterung Hamburgs. Ein zentrales Motiv der Vergrößerung der Stadtgebiete bildeten Planungen im Zusammenhang mit der Kriegsvorbereitung und der "Großraumpolitik" durch Einbeziehung von Häfen, Autobahnen und Versorgungseinrichtungen wie E-Werken und Wasserleitungen.
Am 21. Juli 1938 kam es zur endgültigen Festlegung des neuen Stadtgebiets unter Einbeziehung von 97 niederösterreichischen Gemeinden. Mit 15. Oktober 1938 trat die Stadterweiterung in Kraft. Die Fläche Wiens vergrößerte sich von 278,4 auf 1215,4 Quadratkilometer, die sich auf 26 Bezirke verteilten.
Siehe auch: Groß-Wien
Die nationalsozialistische Verwaltung der Stadt
Zwar wurde sofort mit dem "Anschluss" die "Gleichschaltung" der Stadtverwaltung mit dem Deutschen Reich in Angriff genommen (wobei ein Großteil der Bediensteten der Gemeinde Wien für das neue Regime weiterarbeitete, mit Ausnahme jeder Bediensteten, die aufgrund von "rassischen" oder politischen Gründen entlassen oder pensioniert wurden), doch blieb bis zum "Ostmarkgesetz", das am 1. Mai 1939 in Kraft trat, der Aufbau des Magistrats gegenüber der Geschäftseinteilung des Jahres 1934 weitgehend unverändert. Bei den Magistratsabteilungen gab es lediglich kleinere Änderungen, so wurde unter anderem ein Amt für Leibesübungen geschaffen. Darüber hinaus verteilten sich die Magistratsabteilungen jedoch weiterhin auf sechs, ab Juli 1938 beziehungsweise September 1938 auf acht Verwaltungsgruppen, nachdem als Gruppe VII das Personalamt und als Gruppe VIII das Kulturamt geschaffen wurde. Die Leiter der Verwaltungsgruppen waren schon seit 1934 keine amtsführenden Stadträte mehr, sondern dem Bürgermeister als Beamte unterstellt.
Wesentlicher waren die Eingriffe in die Landeshoheitsrechte Wiens, die mit dem "Anschluss" auf das Reich übergingen, wodurch der Magistrat als Landesbehörde nur noch im Namen und im Auftrag des Reichs tätig werden konnte.
Das Inkrafttreten des "Ostmarkgesetzes" bildete hingegen eine Zäsur im Sinne einer "zweiten Machtübernahme" in der Stadtverwaltung (Gerhard Botz). Dies betraf neben der Funktion des Bürgermeisters, der zum "Ersten Beigeordneten" mit der Amtsbezeichnung Bürgermeister in der Position eines amtsführenden Stadtrates dem Reichsstatthalter unterstellt wurde und diesen vertrat, auch die Gemeindeverwaltung selbst.
Siehe auch: Geschäftseinteilung 1934, Geschäftseinteilung 1939, Handbuch des Reichsgaues Wien, NS-Institutionen, Gauleitung und Gauamt, Kreise und Ortsgruppen
Kriegsbeginn
Als mit dem deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 der Zweite Weltkrieg begann, war Wien zwar vorerst nicht von den unmittelbaren Kriegshandlungen betroffen, jedoch von Kriegsmaßnahmen wie Rationierung (Lebensmittelkarten) und Luftschutzmaßnahmen.
Siehe auch: Zweiter Weltkrieg
Lager in Wien
In Groß-Wien befanden sich zahlreiche, über das gesamte Stadtgebiet verteilte Lager und lagerartigen Unterkünfte. Einerseits waren dies Lager für ausländische Arbeitskräfte ("Fremdarbeiterinnen" und "Fremdarbeiter"), Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge, andererseits Sammellager für zur Deportation vorgesehene Jüdinnen und Juden. Jüdinnen und Juden wurden zudem gezwungen, ihre Wohnungen aufzugeben und in Sammelwohnungen zu leben.
Schon im August 1940 waren in Wien und Niederdonau mehr als 17.000 Kriegsgefangene im Arbeitseinsatz, Ende desselben Jahre bereits 33.000. Ihre Zahl erhöhte sich im Kriegsverlauf weiter. Etwas später setzte der "massenhafte Einsatz von zivilen ausländischen Arbeitskräften in Wien"[1] ein. Bei der ersten größeren Gruppe von ausländischen Zivilarbeitern in Wien handelte es sich um aus dem Kriegsgefangenenstatus entlassene polnische Arbeitskräfte. Darüber hinaus waren einerseits über Arbeitsämter in deren Herkunftsländern angeworbene sowie andererseits auch zwangsrekrutierte Arbeitskräfte in Wien und Niederdonau tätig, die aus 13 europäischen Nationen stammten, unter anderem aus Belgien, Dänemark, Frankreich, Griechenland, dem ehemaligen Jugoslawien, den Niederlanden, Polen, Tschechien und Russland. Bereits im April 1941 betrug die Zahl der ausländischen Zivilarbeiterinnen und Zivilarbeiter mehr als 50.000 Personen. 1944 wurden zudem mindestens 55.000 ungarische Jüdinnen und Juden zur Zwangsarbeit nach Ostösterreich deportiert bevor sie nach Auschwitz, Mauthausen, Theresienstadt und Bergen-Belsen verschickt wurden.
Die Unterbringung der Kriegsgefangenen, aber auch der ausländischen Zivilarbeiterinnen und Zivilarbeiter erfolgte in eigenen Lagern, in Baracken auf Firmengeländen oder in bei Firmen angeschlossenen lagerartigen Unterkünften und Schlafstellen. Manche bestanden nur kurze Zeit, einige überdauerten länger und manche wurden nach dem Krieg als Flüchtlingslager weitergenutzt. Während die Lager der Kriegsgefangenen unter Bewachung durch SS-Soldaten standen, sollten in den Lagern der Zivilarbeiterinnen und Zivilarbeiter zwar aus dieser Gruppe ausgewählte Personen für die Aufrechterhaltung der Ordnung in den Lagern sorgen, sie durften die Lager aber auch abseits des Arbeitseinsatzes verlassen. Darüber hinaus befanden sich unter anderem am Flughafen Schwechat und später in Floridsdorf Außenlager des Konzentrationslagers Mauthausen. Katastrophale Arbeits- und Lebensbedingungen (vor allem beim Bau des Südostwalls) forderten das Leben Tausender Menschen.
Neben dem Einsatz in der Rüstungsindustrie wurden Kriegsgefangene, KZ-Häftlinge und ausländische Zivilarbeiterinnen und Zivilarbeiter - teilweise gemeinsam - auch zu Aufräumungsarbeiten nach Bombentreffern eingesetzt.
Erdarbeiten nach Bombenschäden am Hauptsammelkanal bei der Erdberger Lände (1944) (Wiener Stadt- und Landesarchiv, Fotoarchiv Gerlach, FC1: 10190aM)
Siehe auch: Lager in Wien, Zwangsarbeiterlager, Sammellager, Zwangsarbeit, Industrie- und Handwerksförderungsgesellschaft m.b.H., INHA-Lager
Beteiligte Firmen und Institutionen
Neben der Gemeinde Wien griffen zahlreiche Firmen, vor allem in der Rüstungsindustrie, aber auch in anderen Branchen, auf Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter zurück wie die Vita-Film AG, die Firma Persil, Siemens & Halske, die Siemens-Schuckert-Werke, Gräf & Stift, die Ostmark-Werke, die Wienerberger Ziegelwerke, die Saurer-Werke, die Austro-Tatra-Werke, die Georg Schicht AG, Hofherr & Schrantz, die Holzmann AG, Waagner-Biró, die Ernst Heinkel Flugzeugwerke AG, die Lufthansa und viele andere mehr.
Bombenkrieg und Luftschutzmaßen
Da Ostösterreich lange Zeit nicht in der Reichweite alliierter Bomber lag, galt auch Groß-Wien während des Zweiten Weltkriegs als Teil des "Reichsluftschutzkeller Ostmark". Dennoch wurde ab 1940 mit dem Bau von Tiefbunkern in Parkanlagen, der Anlage von Löschteichen und dem Aufbau eines Luftwarnsystems (Schirachbunker) begonnen.
Mit dem Vorrücken der US-Streitkräfte in Italien änderte sich diese Situation und es setzte der Bau von Flaktürmen ein. Anfang Dezember 1943 wurde im sogenannten Luftgau XVII die 24. Flakdivision gebildet, die im Großraum Wien über 432 schwere Fliegerabwehrkanonen verfügte. Zum ersten tatsächlichen Angriff auf die Wiener Randgemeinden kam es am 17. März 1944. Dieser Angriff und jene vom Mai 1944 galten den Treibstofflagern an der damaligen Wiener Peripherie. Besondere psychologische Bedeutung hatte der Bombenangriff vom 10. September 1944, weil erstmals der 1. Bezirk (Michaelerplatz bis Freyung) und die Bezirke innerhalb des Gürtels schwer getroffen und die Zahl der Toten mit vermutlich rund 700 erheblich war. Serien von Bombenangriffen folgten im Herbst und Winter 1944 bis 23. März 1945. Dann wurden diese eingestellt, um das Vorrücken der Roten Armee nicht zu behindern.
Insgesamt flogen die Alliierten, vor allem die US-Streitkräfte, 53 Angriffe auf Wien, die rund 9.000 Opfer forderten. Die Angriffe richteten sich vor allem gegen kriegswichtige Betriebe und Treibstoffdepots an der städtischen Peripherie.
Siehe auch: Kriegsjahre 1944-1945, Luftschutz, Luftangriffe, Flaktürme, Kriegsschädenplan
Literatur
- Gerhard Botz: Nationalsozialismus in Wien. Machtübernahme, Herrschaftssicherung, Radikalisierung, Kriegsvorbereitung, 1938/39. Überarbeitete und erweiterte Neuauflage. Wien: Mandelbaum Verlag 2018
- Florian Freund / Bertrand Perz / Mark Spoerer: Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen auf dem Gebiet der Republik Österreich 1939-1945. Wien / München: Oldenbourg 2004 (Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich, 26/1)
- Martin Krist / Albert Lichtblau: Nationalsozialismus in Wien. Opfer – Täter – Gegner. Innsbruck / Wien / Bozen: Studienverlag 2017 (Nationalsozialismus in den österreichischen Bundesländern, 8)
- Eleonore Lappin-Eppel: Ungarisch-Jüdische Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen in Österreich 1944/45. Arbeitseinsatz – Todesmärsche – Folgen. Wien 2011
- Stefan August Lütgenau: Zwangsarbeit im "Reichsgau" Wien 1938-1945. In: Studien zur Wiener Geschichte. Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien 59 (2003), S. 167-186
- Stefan August Lütgenau / Maria Mesner / Alexander Schröck: Der Einsatz von Zwangsarbeit während der NS-Zeit bei der Stadt Wien. Studie verfasst im Auftrag des Magistrats der Stadt Wien, Magistratsabteilung 8, Wiener Stadt- und Landesarchiv. Wien 2000
- Stefan August Lütgenau / Maria Mesner / Alexander Schröck: Die Wiener städtischen Unternehmungen in der Zeit des Nationalsozialismus: Exposé zu einer historischen Studie über den Einsatz von Fremd- und ZwangsarbeiterInnen. Wien 2000
- Christian Mertens [Hg.]: "Wir wissen es, dass diese Beamtenschaft ihre Pflicht auch im neuen Wien tun wird". Die Wiener Stadtverwaltung 1938. Wien: Metroverlag 2018
- Hermann Rafetseder: Lager und lagerartige Unterkünfte der NS-Zeit in Wien für das Online-Lexikon "Wien Geschichte Wiki", auf Basis von Material des Österreichischen Versöhnungsfonds. 108 Lager-Artikel und vier "Bonus-Tracks", erstellt im Auftrag des Wiener Stadt- und Landesarchivs. Linz: Eigenverlag 2017
- Hermann Rafetseder: NS-Zwangsarbeits-Schicksale: Erkenntnisse zu Erscheinungsformen der Oppression und zum NS-Lagersystem aus der Arbeit des Österreichischen Versöhnungsfonds. Eine Dokumentation im Auftrag des Zukunftsfonds der Republik Österreich. Linz 2014
Einzelnachweise
- ↑ Stefan August Lütgenau: Zwangsarbeit im "Reichsgau" Wien 1938-1945. In: Studien zur Wiener Geschichte. Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien 59 (2003), S. 167-186, hier S. 168.