Kulturpolitik im Nachkriegs-Wien

Die Kulturpolitik der Alliierten Besatzungsmächte zielte nach Kriegsende zielte in einer ersten Phase vor allem auf die Bekämpfung der NS-Ideologie und "demokratische Umerziehung", wobei die Sowjetunion im Gegensatz zu den Westmächten darunter die Hinwendung zu einer kommunistischen Ideologie verstand. In einer bereits ab 1946 spürbaren zweiten Phase ging es den westlichen Besatzungsmächten immer mehr um die Gewinnung der Bevölkerung für westliche Kultur und Demokratie, während die sowjetische Propaganda die kapitalistische Kultur und das Politsystem zum Feindbild machte. Von Seiten der österreichischen und Wiener Politik stand die Förderung des demokratischen Bewusstseins und des Österreich-Bewusststeins im Vordergrund der Kulturpolitik.

Viktor Matejka
Schon am 24. April 1945 versammelten sich im Wiener Rathaus Vertreter des Theaters, Films und der Presse, um das Wiener Kulturleben im demokratischen Sinn wiederzubeleben. Zu diesem Zweck wurde Kammersänger Alfred Jerger mit der Führung der Staatsoper und Raoul Aslan mit jener des Burgtheaters betraut. Rund um Ende April/Anfang Mai fanden die ersten Kulturveranstaltungen statt. Als wesentlicher Initiator erwies sich bald der Wiener Kulturstadtrat und KPÖ-Mandatar Viktor Matejka. 1945 bis 1949 wirkte er als Stadtrat für Kultur und Volksbildung (Mitglied des Gemeinderats bis 1954). Seine unbürokratische Hilfsbereitschaft und die Fähigkeit, auch mit politischen Gegnerinnen und Gegnern ins Gespräch zu kommen, machten ihn zu einer legendären Figur. Bekannt wurde er auch dafür, dass er der einzige offizielle Vertreter Österreichs war, der die vertriebenen Künstlerinnen und Künstler sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einem offenen Brief zu Rückkehr nach Österreich aufforderte und auch viele einzelne Remigrantinnen und Remigranten - wie etwa Berthold Viertel oder Paul Schick - nach Wien holte. In diesem Anliegen wurde er von den anderen Gemeinderatsparteien nicht unterstützt und war daher nur wenig erfolgreich.[1]
Als unorthodoxer Denker gelang es Matejka das Wiener Kulturleben mit durchaus originellen Ideen und viel Engagement wieder aufzubauen. Dabei blieb er auch Karl Kraus weiterhin verbunden. 1946 gehörte er mit Leopold Liegler und Edwin Rollett zu den Proponenten einer Karl Kraus-Gesellschaft und wurde bei ihrer Gründung 1947 einer ihrer Beiräte. Zwar forderte er die Veröffentlichung des Kraus'schen Werkes in einem österreichischen Verlag, würdigte aber zugleich die Neuauflage von Kraus' in Deutschland in zahlreichen Beiträgen im "Österreichischen Tagebuch" und im "Abend".
Sowjetischer Einfluss
Abgesehen von der Intention, Propaganda für den Kommunismus und den Sowjetstaat auch über kulturelle Veranstaltungen zu vermitteln, erwiesen sich die Sowjets als große Bewunderer der österreichischen Kultur. Schon am 14. April ließ es sich eine Delegation hoher sowjetischer Offiziere nicht nehmen, am Zentralfriedhof den Musikergräbern ihre Aufwartung zu machen. Ende April musizierten sowjetische Militärkapellen fast jeden Tag auf dem 1., Rathausplatz, im Programm standen meist Strauss-Walzer. Auch bei offiziellen Anlässen war die sowjetische Militärmusik präsent. Am Wiederaufbau der Staatsoper beteiligten sich die Sowjets mit zwei Millionen Reichsmark, außerdem stellten die Truppen Bau- und Transportmaterial bereit. Staatskanzler Karl Renner lud schon im Juli sowjetische Künstlerinnen und Künstler nach Wien ein, ihnen zu Ehren gab die Staatsoper das Opernstück "Boris Godunow". Auch in den Folgejahren waren immer wieder namhafte sowjetische Kunstschaffende in Wien zu Gast. Die Ausstellung "800 Jahre Moskau" eröffnete im September 1947 im Palais Coburg.

Die Sowjets wollten den Russischunterricht an Schulen fördern, 1947 wurden Lehrstellen für Russischklassen an Wirtschaftsschulen und Handelsakademien ausgeschrieben. Allerdings entsprach die Nachfrage nicht den Vorstellungen. Um nicht mit der Besatzungsmacht auf Konfrontationskurs zu gehen, beschloss man, die Klassen trotz nicht erreichter Mindestschülerzahlen beizubehalten.
US-amerikanischer Einfluss
Mit der Ankunft der Westalliierten im September 1945 machte sich vor allem der US-amerikanische Einfluss kulturpolitisch immer mehr bemerkbar. Zu Beginn der Besatzungszeit entstanden viele US-amerikanische Clubs in Wien, deren Anzahl sich jedoch in den darauffolgenden Jahren wieder verringerte. Darunter waren offizielle Clubs, die vom Amerikanischen Roten Kreuz, ab 1948 vom Special Service Office geführt wurden, von militärischen Einheiten eingerichtete Clubs und Clubgründungen von Soldaten und Offizieren ohne offizieller Genehmigung.[2] Kulturelle Zusammenarbeit ergab sich in vielen Bereichen; österreichische Kunstschaffende tourten in den USA (wie etwa Anton Karas), Österreich stellte Objekte für Ausstellungen in den Vereinigten Staaten zur Verfügung. Umgekehrt waren auch US-Amerikaner und Amerikanerinnen in Wien aktiv, die Stadt diente als Filmkulisse, die Musik der Wiener Philharmoniker wurde für einen amerikanischen Kulturfilm genutzt. Der American Information Service betrieb Leseräume in Wien, deren Bestände auf über 30.000 Bücher anwuchsen – sie zählten nach drei Jahren bereits mehr als 50.000 Besucher und Besucherinnen monatlich. Einer dieser Stätten war das Amerika-Haus. Die US-Streitkräfte stellten von den Nationalsozialisten verschleppte Kunstwerke im Salzkammergut sicher und brachten diese nach Wien zurück. Der wachsende Einfluss der amerikanischen Kultur wurde im Gemeinderat im Februar 1952 thematisiert, als ein Antrag auf "Kampf gegen die amerikanisierte Kultur" eingebracht wurde. Anlässlich der Wiener Festwochen 1955 leitete der berühmte Dirigent Leopold Stokowski die Wiener Philharmoniker.
Zahlreiche österreichische Kulturschaffende waren vor den Nationalsozialisten in die Vereinigten Staaten geflohen. In der Nachkriegszeit kehrten einige davon zurück, viele weilten auf Besuch in Wien, darunter Oscar Straus, Robert Stolz oder Emmerich Kálmán, der in den USA eine Hilfsaktion für österreichische Kinder begründet hatte. Ende 1947 organisierten österreichische Emigranten eine österreichische Ausstellung in Philadelphia, die nicht nur die wirtschaftlichen Verhältnisse Österreichs darstellen sollte, sondern auch die Werke Wiener Kunstschaffender präsentieren. Der aus Österreich ausgewanderte Otto Kallir hatte in New York eine neue Galerie eröffnet, nun präsentierte er in Wien eine Ausstellung mit Bildern von Walt Disney.
Es kam zur Aufnahme von direkten Kontakten zwischen Wiener Schulen und den USA. Kinder an einigen Mittelschulen etablierten Brieffreundschaften mit amerikanischen Schülern und Schülerinnen, eine Schule in South Bend übernahm die Patenschaft für zwei Wiener Hauptschulen (Embelgasse und Bachergasse). 1949 stellten Wiener Schulkinder auf Initiative der Österreichisch-Amerikanischen Gesellschaft Handarbeiten und Zeichnungen in New York aus. Schüler und Schülerinnen der Rhode Island School of Design präsentierten 1954 ihre Arbeiten in der Forschungsstelle für Wohnen und Bauen im Rathaus.
Britischer Einfluss
Kulturpolitisch verfolgten die britischen Initiativen den britischen "way of life" bei der Wiener Bevölkerung zu popularisieren und über die Kultur-, Informations- und Propagandapolitik die "Umerziehung" zur Demokratie westlicher Prägung zu befördern. Wichtigste Institution bildete das British Council. 1946 konstituierte sich in London ein "Anglo-Österreichisches Komitee von Wissenschaftlern", das sich der Versorgung Österreichs mit englischsprachiger wissenschaftlicher Literatur der letzten zehn Jahre widmete. Insbesondere die Akademie der Wissenschaften und das Institut für Wissenschaft und Kunst sollten davon profitieren. Da kaum Lagerbestände existierten, appellierte man an die britische Bevölkerung, ihre Privatbestände zu spenden; die eingesandten Bücher sollten jedenfalls demokratisches Gedankengut fördern.
Die zweifelsohne berühmteste österreichisch-britische Zusammenarbeit im Kulturbereich betraf die Dreharbeiten zum Film "Der dritte Mann". Als Vorhut des vierzigköpfigen Teams der Produktionsfirma Alexander Corda traf Ende 1948 der Regisseur Carol Reed in Wien ein, Bürgermeister Theodor Körner sagte ihm die Unterstützung der Stadt zu. Österreichische Schauspieler und Schauspielerinnen waren an der Produktion beteiligt, die weltberühmte Titelmelodie kam vom Musiker Anton Karas. Erstmals in Wien zu sehen war der Film am 10. März 1950.

Im Messepalast wurde im Juni 1947 der Öffentlichkeit die Ausstellung "London, Bild einer Weltmacht" präsentiert, der Eröffnungen wohnten auch die Regierung und der Bundespräsident bei. Der Wiener Akademie-Kammerchor konnte im Juli 1948 bei einem internationalen Wettbewerb in England Erfolge feiern. Im Oktober 1948 fand die Ausstellung "British Theatrical Art" in Wien statt.

Im Hochschulbereich kam es ebenso zu Kontakten. Stipendien des British Council ermöglichten österreichischen Akademikerinnen und Akademikern einen einjährigen Studienaufenthalt in England.
Amerika-Haus / US-Information Center) in (1., Kärntner Straße 38)
Russischer Chor im Musikverein. November 1945
Französisches Informationsbüro auf der 6., Mariahilfer Straße 47, 1946
Weihnachtssingen des Glee-Club im Konzerthaus, 1947
Veranstaltungen des British Council im Dezember 1949 im Vortragssaal 1., Freyung 2, 1949
Der dritte Mann, Filmplakat 1950
Kosmos-Theater der amerikanischen Besatzung: Bühne während einer Leseaufführung. Weihnachtsfeier für österreichische Kinder, 1950
Eröffnung des VMP-Theaters im ehemaligen Wiener Stadttheater mit Vorführung des Films 'The Crimson Pirate' vor US-Armeeangehörigen. 1952
American Ballett Theater während einer Europatournee in Wien: Begrüßungsszene vor dem Hotel Imperial, Juni 1953
Gesangsabend im Austro-American Institut of Education in Wien 1., Operngasse 4. Vorsänger, 1955
Literatur
- Helmut Kretschmer: Der Wiederbeginn des kulturellen Lebens im Jahre 1945. In: Wiener Geschichtsblätter 30 (1975), S. 251-254.
- Wolfgang Mueller: Kulturpolitik und Propaganda der sowjetischen Besatzungsmacht in Österreich. In: Stefan Karner/Gottfried Stangler (Hg.): Österreich ist frei. Der Österreichische Staatsvertrag 1955. Horn/Wien: Verlag Berger 2005, S. 241-244.
- Milenia Snowdon-Prötsch: Presse und Rundfunk in der Nachkriegszeit. In: Stefan Karner/Gottfried Stangler (Hg.): Österreich ist frei. Der Österreichische Staatsvertrag 1955. Horn/Wien: Verlag Berger 2005, S. 237-240.
- Reinhold Wagnleitner: Coca-Colonisation und Kalter Krieg. Die Kulturmission der USA in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg. Wien: Verlag für Gesellschaftskritik 1991
Referenzen
- ↑ Siehe Gespräch Matejkas mit Ronald Leopoldi, dem Sohn von Hermann Leopoldi.
- ↑ Hubert Prigl: Clubs und Einrichtungen der amerikanischen Besatzungszone. In: Hubert Prigl (Hg.): ‘off limits’. Amerikanische Besatzungssoldaten in Wien 1945-1955. Wien: Wiener Stadt- und Landesbibliothek 2005, S. 43.