Verwaltung Wiens in der Besatzungszeit
Nach dem Zweitem Weltkrieg waren Österreich und Wien während der Alliierten Besatzung (1945-1955) von französischen, britischen, US-amerikanischen und sowjetischen Truppen besetzt. Zuerst erreichte die Sowjetunion Wien, woraufhin diese einen provisorischen Stadtsenat einsetze. Mit der Verabschiedung des Ersten Alliierten Kontrollabkommens und des Zonenabkommens erfolgte schließlich die Aufteilung Österreichs in Besatzungszonen und Wiens in Sektoren sowie der Einzug der westlichen Alliierten. Daraufhin fanden im November 1945 die ersten freien Wahlen zum Wiener Gemeinderat und Landtag nach der Zeit des Nationalsozialismus statt.
In dieser Zeit ergaben sich verschiedene Herausforderungen für die Verwaltung, wie beispielsweise die Frage des Wiederaufbaus Wiens, der Versorgung und Ernährung der Bevölkerung oder der gesundheitlichen und sanitären Lage.
Das Kriegsende in Wien, der Einmarsch der sowjetischen Truppen und die Einsetzung des provisorischen Stadtsenats
Nach dem Einmarsch der Roten Armee in Wien war das Ziel von den Marschällen Rodion Jakowlewitsch Malinowski und Fjodor Iwanowitsch Tolbuchin dort ein einfaches Verwaltungssystem zu errichten. Dazu wurde die ‘Provisorische Verordnung über Kriegskommandanturen auf dem durch sowjetische Truppen eingenommenen Territorium Österreichs‘ erlassen. Demnach sollten in allen größeren Orten Militärkommandanturen eingerichtet und möglichst schnell an österreichische Zivilpersonen übergeben werden, um letztendliches eine baldige Normalisierung des Alltags und Lebens zu erreichen.
Seit Mitte März 1945 verfügte der Generalleutnant Alexej W. Blagodatow als Stadtkommandant für Wien über die oberste Gewalt und war somit für die Einsetzung einer zentralen Stadtverwaltung zuständig. Im April 1945 bildete die sowjetische Besatzung ein Netz von Militärkommandanturen mit Bezirksbürgermeistern (ähnlich den Bezirksvorstehern) in Wien, welche die Verwaltung übernahmen. Diese stellten von der sowjetischen Besatzungsmacht berufene, aber rein österreichisch besetzte provisorische Verwaltungsorgane dar, die jedoch über keine Zentralstelle verfügten. Ihre Aufgaben lagen in der Sicherung der Versorgung und des Überlebens der Bevölkerung, der Herstellung von geordneten Verhältnissen und der Ausführung der Aufträge des Ortskommandanten. Zudem waren sie für die Bereiche Wohnungswesen, Ernährung und öffentliche Sicherheit zuständig. Unterstützt wurden sie durch einen ‘Polizeilichen Hilfsdienst für die Kommandantur der Stadt Wien‘ (1, Herrengasse 13).
Nach Kriegsende gab es in Wien überdies eine Reihe von Verbänden, die sich mit der Aufrechterhaltung der Ordnung befassten (im Akt des Bürgermeisteramts 111/45 werden die ‘Österreichische Freiheitsbewegung‘, die ‘Volksfront‘ und eine ‘Mobile Ordnungstruppe‘ genannt).
Anfang April 1945 wurde der Kommunist Rudolf Prikryl von der Sowjetunion als vorläufiger Bürgermeister eingesetzt, der jedoch bereits am 13. April durch die Nominierung und Anerkennung Theodor Körners als Bürgermeister abgelöst wurde. Dem war ein Tag zuvor eine erstmalige Versammlung ehemaliger sozialdemokratischer FunktionärInnen im Rathaus vorausgegangen. Nach der Neugründung der SPÖ und der ÖVP erfolgte durch eine Einigung dieser mit der KPÖ die Zusammensetzung eines provisorischen Stadtsenats. Dafür wurde Körner von Blagodatow am 17. April 1945 in seiner Rolle als provisorischer Bürgermeister Wiens bestätigt. Überdies ernannte Blagodatow Leopold Kunschak (ÖVP) und Karl Steinhardt (KPÖ) zu stellvertretenden Bürgermeistern. Der Bürgermeister und seine Stellvertreter übernahmen die Organisation und Leitung der Wiener Stadtverwaltung und die Aufsicht über Dienststellen und Einrichtungen
Der neuen zentrale Stadtverwaltung, die am 17. April 1945 ihre Arbeit begann, gehörten elf Verwaltungsgruppen (für Allgemeine Verwaltung, Finanzen, Gesundheitswesen, Wohnungs- und Siedlungswesen, Technische Angelegenheiten, Ernährung, Wirtschaftliche Angelegenheiten, Schulwesen, Unternehmungen, Wohlfahrtswesen beziehungsweise Kultur- und Bildungswesen) unter der Leitung von StadträtInnen, die bis zum 21. April 1945 ernannt wurden, an. Die StadträtInnen bildeten zusammen den Stadtsenat. Zusätzlich bestanden BezirksversteherInnen und deren StellvertreterInnen sowie die Magistrate. Der Magistratsdirektor Viktor August Kritscha übernahm die allgemeine Aufsicht und Leitung aller Dienststellen des Magistrats. Ein Kontrollamt fungierte zudem als Kontrollorgan. Eine allmähliche Normalisierung des Verhältnisses zwischen den Bezirken und zentraler Stadtverwaltung stellte sich im Sommer 1945 ein. Die Wiener Polizeidirektion übernahm den Polizeidienst in Wien wieder im Juni 1945.
Mit der Neuschaffung der Verwaltung wurde – neben der Errichtung von nachkriegsbedingten Stellen – an die Geschäftseinteilung an 1934 angeknüpft. Nachdem die Neubildung vollzogen war erfolgte ein Aufruf an die städtischen Bediensteten, wieder an ihrem Arbeitsplatz einzufinden.
Die Wiener provisorische Stadtverwaltung stellte zu Beginn ihrer Tätigkeit die einzige österreichische Autorität dar. Somit setzte sich Körner als Bürgermeister neben der Gemeindeverwaltung auch mit Staatsangelegenheiten auseinander. Dies veränderte sich erst durch die Bildung der provisorischen österreichischen Regierung unter Karl Renner am 27. April 1945, die durch die Zustimmung der Sowjetunion erfolgt war. Diese setzte am 10. Juli 1945 das Wiener Verfassungs-Überleitungsgesetz und damit die Verfassung Wiens von 1931 wieder in Kraft. Der provisorische Stadtsenat Wiens trat am 27. Juli 1945 erste Sitzung und fungierte bis zur Wahl des Gemeinderats am 25. November 1945 als gesetzgebendes Organ. Bis zur Ausdehnung der Kompetenzen der Regierung unter Renner auf das gesamte österreichische Staatsgebiet am 20. Oktober 1945 hatte Wien eine Art Stadtstaatscharakter inne.
Der Einzug der westlichen Alliierten und die Teilung Wiens in Sektoren
Nach der Verabschiedung des Ersten Alliierten Kontrollabkommens und des Zonenabkommens, zogen die westlichen Alliierten in Wien im September 1945 ein. Mit der Teilung Wiens in Sektoren wurden in diesen eigene Verwaltungszentren errichtet, die meistens gleichzeitig Sitz der Militär- beziehungsweise Hochkommissare – der Oberbefehlshaber der Besatzungsmächte – waren. Zusätzlich zu den vier alliierten Sektoren in Wien bestand im ersten Bezirk die Interalliierte Zone, die von den Alliierten gemeinsam kontrolliert wurde.
Im Sektor der US-amerikanische Besatzungsmacht, der die Bezirke sieben, acht, neun, 17, 18 und 19 umfasste, befand sich das Hauptquartier im Gebäude der Österreichischen Nationalbank (9, Otto-Wagner-Platz 3). Der Sitz des Militär- bzw. Hochkommissars im britischen Sektor (Bezirke drei, fünf, elf, zwölf und 13) stellte das Schloss Schönbrunn (13, Schönbrunner Schloßstraße) dar. Das Quartier der französische Besatzungsmacht (französischer Sektor: Bezirke sechs, 14, 15 und 16) in Wien lag zuerst im Hotel Kummer (6, Mariahilfer Straße 71 A), später übersiedelte dieses in die ehemaligen Kadettenschule in der Hütteldorfer Straße 126 im 16. Bezirk. Ihr Hauptquartier lag jedoch in Innsbruck. Der Sitz des sowjetischen Militär- beziehungsweise Hochkommissars befand sich im Hotel Imperial (1, Kärntner Ring 16) in deren Sektor (Bezirke zwei, vier, zehn, 20, 21 und 22).
Die Wiener Verwaltung wurde in der Besatzungszeit über die Wiener Interalliierte Kommandantur durch den Alliierten Rat kontrolliert. Somit griffen die Alliierten auch in die Gemeindeverwaltung ein. Die Verwaltung Wiens wurde durch Einfluss der Besatzungsmächten auch aufgrund der Aufteilung in Sektoren komplexer.
Da anfangs eine geregelte Zusammenarbeit zwischen dem Wiener Behörden und den Alliierten fehlte, wurde eine Verbindungsstelle zwischen diesen geschaffen und ein Beamter der Magistratsdirektion für die Verbindung zu den Alliierten bestimmt, um die Kommunikation zwischen den Wiener Behörden und Besatzungsbehörden zu gewährleisten. Bis November 1945 wurden Verhandlungen der Verwaltung mit den einzelnen Sektoren der alliierten Kommandantur geführt. Ab dem 11. November 1945 kommunizierten der Bürgermeister und die Magistratsdirektion mit obersten Dienststellen der Besatzungsmächte, dem jeweiligen Vorsitzenden der Interalliierten Kommandantur. Die Verbindung zwischen den Wiener und alliierten Behörden funktionierte durch einen regen Austausch, der unter anderem durch eine anfangs wöchentliche und 14-tätige und später monatliche Berichterstattung mit statistischen Informationen jedes Teils der Stadtverwaltung an die Interalliierte Kommandantur erfolgte.
Bis zu den Wahlen am 25. November 1945, als die Stadt wieder eine demokratisch eingesetzte Verwaltung erlangte, wurde die Wiener Verwaltung durch SPÖ, ÖVP und KPÖ geleitet. Nachdem die KPÖ bei den Wahlen starke Verluste einbüßte, verlor sie ihre dominante Stellung. Die SPÖ dominierte seitdem in der Wiener Verwaltung: Sie stellte die amtsführenden StadträtInnen für Finanzen, Kultur, Wohlfahrt, Bauen und Wohnen und verfügte damit über Schlüsselbereiche. Die ÖVP übernahm die Ressorts Gesundheit, Märkte, Baubehörde und Städtische Unternehmungen.
Zentrale Herausforderungen für die Verwaltung in der Nachkriegszeit
In den ersten Monaten nach Kriegsende brach in Wien die Organisations-, Kommunikations- und Infrastruktur zusammen. In großen Teilen der Stadt fehlten die Strom-, Gas- und Wasserversorgung durch Beschädigungen des Strom-, Gas- und Kanalnetzes. Weiters gab es keine gesicherten Informationen oder Verbindungen zu Radio, Zeitungen und offiziellen Nachrichten. Auch Verkehrsverbindungen oder Post fehlten. Wien zerfiel somit in kleine Bestandteile, woraufhin manche Stadtteile besser und andere schlechter versorgt waren. Die Abgeschlossenheit Wiens vom Rest Österreichs führte überdies zu einer mangelnden Versorgung mit Lebensmitteln.
Zudem waren die Folgen der Schäden des Kriegs an Gebäuden oder Verkehrsflächen sichtbar. Auf der Straße lag Schutt und es gab keine Möglichkeit zur Beseitigung von Hausmüll mehr, was zu Verkehrshindernissen und gesundheitliche Problemen führte. Dies wurde durch nur provisorisch beerdigte oder auf Straßen zurückgelassene gefallene oder verstorbene Menschen noch verstärkt. Zugleich waren die Krankenhäuser nicht ausreichend ausgestattet, um erkrankte Personen zu behandeln. Für die Bevölkerung war zudem vor allem im Winter 1945 das fehlende Heizmaterial besonders spürbar.
Die Hauptschwierigkeit für die Stadtverwaltung lag darin, dass kaum Mittel zur Verfügung standen, um die Ordnung und Sicherheit in Wien wieder herzustellen. Laut Körner stellte eine die Auflösung der zentralen Stadtverwaltung mit der Besatzung Wiens und die Schaffung von selbstständigen Bezirken mit militärischen Ortskommandanten sowie die Einsetzung von wahllosen Bürgermeistern und einer selbstständiger Polizei eine Ursache für das Chaos dar. Eine Normalisierung der Situation stellte sich nur langsam ein, so dass die Folgen des Zweiten Weltkrieges noch lange spürbar waren.
Siehe: Alltag in Wien in der Besatzungszeit
Literatur
- Gustav Bihl, Gerhard Meißl, Lutz Musner: Vom Kriegsende 1945 bis zur Gegenwart. In: Wien. Geschichte einer Stadt. Bd. 3: Von 1790 bis zur Gegenwart. Hg. Von Peter Csendes, Ferdinand Opll. Wien / Köln / Weimar: Böhlau Verlag 2006, S. 545-815, hier: 548 ff., 553, 560, 603.
- Marcus Denk: Zerstörung als Chance? Städtebauliche Grundlinien, Leitbilder und Projekte in Wien 1945-1958. Duisburg / Köln: WiKu-Verlag 2008, S. 113 f.
- Klaus Eisterer: Österreich unter Alliierter Besatzung 1945-1955. In: Österreich im 20. Jahrhundert. Ein Studienbuch in zwei Bänden. Band 2: Vom Zweiten Weltkrieg bis zur Gegenwart. Hg. von Rolf Steininger, Michael Gehler. Wien / Köln / Weimar: Böhlau Verlag 1997, S. 147-216, hier: 156 f.
- Karl Fischer: Die Vier im Jeep. Die Besatzungszeit in Wien 1945-1955. Wien: Wiener Stadt- und Landesarchiv 1985 (Wiener Geschichtsblätter, Beiheft 1/1985), S. 3 f., 6.
- Ela Hornung, Margit Sturm: Stadtleben. Alltag in Wien 1945 bis 1955. In: Österreich 1945-1955. Gesellschaft, Politik, Kultur. Hg. von Reinhard Sieder, Heinz Steinert, Emmerich Tálos. Wien: Verlag für Gesellschaftskritik 1995 (Österreichische Texte zur Gesellschaftskritik, 60), S. 54-67, hier: 58 ff.
- O.A.: Die Verwaltung der Bundeshauptstadt Wien vom 1. April 1945 bis 31. Dezember 1947. Verwaltungsbericht. Hg. vom Magistrat der Bundeshauptstadt Wien. Wien: Magistrat der Stadt Wien 1949, S. 24 ff., 28 ff., 39, 47.
- Manfried Rauchensteiner: Der Sonderfall. Die Besatzungszeit in Österreich 1945 bis 1955. Graz: Styria-Reprint 1995, S. 75 ff.
- Manfred Rauchensteiner: Kriegsende und Besatzungszeit in Wien 1945-1955. In: Wiener Geschichtsblätter 30. Wien: Verein für Geschichte der Stadt Wien 1975, S. 111, 191 ff.
- Johannes Sachslehner: Wien. Stadtgeschichte kompakt. Wien: Pichler Verlag 1998, S. 210, 213 f.