Arbeiterbewegung (Revolution 1848)
Die gesellschaftliche Schicht der Arbeiterinnen und Arbeiter, die im Zuge der Industrialisierung entstand, nahm erstmals im großen Rahmen an einer Revolution teil, um für Arbeiterschutz, Mitbestimmung und Vereinsfreiheit durchzusetzen. Nach der Niederschlagung der Revolution von 1848 wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende der Ersten Republik seitens der sozialdemokratischen Organisationen und Parteien Gedenkveranstaltungen organisiert und gepflegt.
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Frühindustralisierung im Vormärz
Nach der Überwindung der wirtschaftlichen Depression nach Ende der Napoleonischen Kriege begann sich in Wien gestützt auf einen Konjunkturaufschwung ab den 1820er Jahren eine deutliche Verschiebung zu einer auf überregionale Märkte orientierten Produktion abzuzeichnen. Mit ihr einher ging der Aufbau größerer Produktionseinheiten und der vermehrte Einsatz von Maschinen, der Ende der 1830er Jahre angestoßen vom Eisenbahnbau auch industriell-großbetriebliche Fabriken entstehen ließ. Das stürmische Wachstum während der Frühindustralisierung ließ den Strom an Zuwanderern immer mehr ansteigen. Arbeitskraft war daher billig und ein großer Teil der Arbeiterinnen und Arbeiter lebte nahe am Existenzminimum. Die Situation verschärfte sich ab 1845, als eine Folge von Missernten die Lebensmittelpreise in die Höhe schnellen ließ. Gleichzeitig kam es in der Textilindustrie zu Absatzstockungen und damit verbundener Massenarbeitslosigkeit. 1847 eskalierte die Situation immer mehr. Kriminalität, Alkoholismus und Prostitution nahmen in den Unterschichten immer mehr zu. Die Regierung suchte, durch Notstandarbeiten gegenzusteuern, was nur in bescheidenem Ausmaß gelang. In den Vorstädten und Vororten kam es zu ersten Plünderungen. Das Bürgertum litt unter der wachsenden Steuerlast. Ein Staatsbankrott drohte.
Arbeiterbewegung in der Revolution 1848
Märzrevolution
Die Märzrevolution begann am 13. März 1848 mit dem Marsch von Bürgern, Studenten und Arbeitern auf das Niederösterreichische Landhaus in der Herrengasse. Viele Arbeiter und Handwerker wie auch Arbeitslose gelangten noch vor der Schließung der Stadttore in die Stadt und konnten sich der Kundgebung anschließen. Ebenso gewann die Erhebung der Arbeiter in den Vorstädten und Vororten an Schwungkraft. Die Gründung der Nationalgarde und der Akademischen Legion erfolgte unter Ausschluss der Arbeiterschaft. Zwischen Bürgern und Studenten herrschten differenzierte Meinungen über eine potenzielle Bewaffnung der Arbeiter, denen es aber gelang, in das Bürgerliche Zeughaus einzudringen und sich Waffen anzueignen.
Die Arbeiter griffen auch das Hofstallgebäude an, woraufhin die Schüsse der Wachmannschaft in die Menge einige Tote forderte. Die Gaslaternen am Glacis wurden aus dem Boden gerissen und das Gas angezündet, woraufhin die Stadt vom Feuer eingeschlossen wurde.
Größeres Augenmerk ist jedoch auf den Maschinensturm in den Fabriken der Vorstädte und Vororte zu legen. Ferner erhob sich der Zorn der Arbeiterschaft gegen die am Linienwall in den Linienämter eingehobene Verzehrungssteuer, speziell wurde das Linienamt an der Mariahilfer Linie zerstört, auch wurden die Beamten bedroht und körperlich angegriffen. Die Zerstörungswut richtete sich auch gegen das Polizeikommissariat Sechshaus sowie das Amtshaus am Braunhirschengrund. Im Zuge des Maschinensturms am 14. März wurden Druck-, Branntwein- und Appreturfabriken zerstört. Die Nationalgarde und die Akademische Legion wurden zur Befriedung der Erhebungen in den Vororten eingesetzt, in den meisten Fällen konnten die Studenten die Ruhe wiederherstellen. Bei einem Gefecht einer Infanterieabteilung mit den Aufständischen in der Kirchengasse in Reindorf (heute 15. Bezirk) waren die höchsten Opferzahlen der Märzrevolution zu verzeichnen.
Arbeiter und Handwerksgesellen bildeten das Gros der Märzgefallenen, die überwiegend vor dem Linienwall gestorben sind. Bei der Beisetzung von 15 Toten bei der Begräbnisfeier am 17. März am Schmelzer Friedhof sprachen der katholische Priester Anton Füster, der evangelische Superintendent Josef Pauer und der jüdische Prediger Isak Noa Mannheimer. Die Gesamtzahl der Märzopfer war aber weitaus höher, die Wiener Zeitung zählte in der Ausgabe vom 4. Mai auch die an ihren Verletzungen Gestorbenen und verkündete eine Opferzahl von 48 Toten.
Mit der Verhängung des Standrechts vom 16.-22. März wurde der Ausnahmezustand für die unruhigen Arbeiter proklamiert. Der erste Tagesbefehl des Kommandanten der Nationalgarde Johann Ernst Hoyos-Sprinzenstein richtete sich auch gegen die potenziell aufrührerische Arbeiterschaft. Am 17. März wurden 532 Aufständische in die Kasematten der Basteien verbracht und gefangen gehalten.
Als Erfolge für die Verhältnisse der Arbeiterschaft konnten die Senkung der Verzehrungssteuer auf Grundnahrungsmittel, die Einführung des Zehnstundentages für die Gloggnitzer Eisenbahnarbeiter und der Fabriksarbeiter sowie des Zwölfstundentages (6-18 Uhr) für die Maurergesellen mit einem Lohn von 50-60 Kreuzern, die Aufhebung der Schulgebühr für Lehrlinge sowie die Durchsetzung von Kollektivverträgen für Gesellen und Arbeiter der meisten Gewerbe verbucht werden.
Die periodische Publizistik befasste sich theoretisch mit der sozialen Frage, so forderte August Silberstein im Blatt Der Wanderer Mindestlöhne und Maximalarbeitszeit, eine Arbeiterschutzkommission, eine Arbeitnachweisstelle und das Verbot der Kinderarbeit. Weitere Forderungen waren Volks- und Gewerbeschulen, Aufhebung der Verzehrungssteuer und Vermittlung des Staats für Assoziation zwischen Arbeitgebern und Arbeitern sowie Beteiligung der Arbeiter am Gewinn.
Anfang Mai wurde ein Arbeitsministerium eingerichtet, welches am 6. Mai in ein Handelministerium sowie Ministerium für öffentliche Arbeiten umgewandelt wurde.
Mairevolution
Im Mai fungierte die Arbeiterschaft, der nach wie vor das Recht auf das Tragen von Waffen verwehrt blieb, noch als Hilfstruppe der Demokraten. Im Zuge des verbreiteten Gerüchts über ein Herannahen der Truppen des Fürsten Alfred I. zu Windisch-Graetz wurde die Forderung der Bewaffnung der Arbeiterschaft laut. Vor dem Bürgerlichen Zeughaus (1., Am Hof 10) versuchten zigtausende Arbeiter, sich Zutritt zum Waffenlager zu verschaffen, allerdings wurden diese von der Akademischen Legion daran gehindert und auseinandergetrieben. Die Arbeiter nahmen auch an den Barrikadenkämpfen teil und traten dort schon organisiert auf, so kamen etwa die Arbeiter der Eisenbahnwerkstätten in geordneten Kolonnen mit identischen pikenförmigen Eisenstangen bewaffnet.
In der Mairevolution produzierte literarische und bildliche Darstellungen betonten das Narrativ des "braven" Arbeiters, der das bürgerliche Eigentum bedingungslos respektierte. Ein im Mai angefertigtes Plakat forderte die Einführung einer Einkommens- und Armensteuer.
Die Haltung der Fraktionen gegenüber den Arbeitern war bevormundender Natur, welche sich aber angesichts der von der Arbeiterschaft aufgestellten Forderungen als problematisch herausstellte. Eine vom Arbeitsministerium am 26. Mai veröffentlichten Kundmachung lautete: „Den Arbeitern wird fortan Arbeit verschafft werden, wogegen sie zur Herstellung der Ruhe zu ihrer Arbeit zurückzukehren haben.“ Dieser Satz offenbart ein Prinzip, das Recht auf Arbeit, welcher höher stand als die bürgerliche Revolution und die Forderung nach politischer Gleichberechtigung. Der um dieses Recht und und die Frage der politischen Gleichberechtigung anhebende Konflikt war entscheidend für den weiteren Verlauf der Revolution.
Zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wurden von der Regierung unter anderem "Notstandsarbeiten" organisiert. Den größten Umfang hatten dabei Erdarbeiten im Prater und in der heutigen Brigittenau. Für zwölf Stunden Arbeit erhielten Erwachsene 20 und Kinder 15 Kreuzer. Lohnkürzungen des Arbeitsministers Ernst Schwarzer führten zu Demonstrationen der Arbeiterschaft, jene am 23. August im Prater wurde von der Nationalgarde in der Praterschlacht blutig niedergeschlagen. Dies führte zur Spaltung der Radikalen und zu Uneinigkeit zwischen Bürgertum und Arbeiterschaft.
Oktoberrevolution
Die Oktoberrevolution begann am 6. Oktober mit der Meuterei der Grenadiere in der Gumpendorfer Kaserne. Eine Menge von Grenadieren, Arbeitern, Studenten und Nationalgardisten marschierte zum Nordbahnhof, wo es zum Gefecht an der Taborbrücke kam, wobei Generalmajor Hugo von Bredy, Befehlshaber der kaiserlichen Truppen, getötet wurde. Danach marschierte die Menge in die Innenstadt über den Graben weiter zum Kriegsministerium Am Hof und verlieh in der Ermordung des Kriegsministers Theodor Baillet de Latour ihrem Zorn Ausdruck. In der Nacht vom 6. zum 7. Oktober wurde das Kaiserliche Zeughaus in der Renngasse bestürmt und schließlich die Waffenbestände an die Menge übergeben. In dieser Nacht waren die meisten Toten zu beklagen, 500 Tote und Schwerverletzte, darunter die Mehrzahl von ihnen Arbeiter und Handwerker.
Der Arbeiterverein erklärte am 8. Oktober im Namen der ganzen Arbeiterklasse Wiens seine Solidarität mit dem Reichstag und verpflichtete sich, diesen gegen alle Angriffe zu verteidigen, was aber vom Reichstag abgelehnt wurde. Mitte Oktober organisierten sich bewaffnete Arbeiter (primär Fabriksarbeiter) in der Mobilgarde unter dem Oberkommando von Josef Bem, was aber mehr der Kontrolle der Arbeiterschaft als der Stärkung der revolutionären Kräfte diente, der Sold belief sich auf 25 Kreuzer, ab 14. Oktober auf 40 Kreuzer. Die Zahl der Mobilgarde in Bems Lager im Belvedere belief sich auf 3672 Mann, jener der am Linienwall stationierten Mobilgardisten auf 3866 Mann, diese bildeten die Hauptverteidigung Wiens. Zusätzlich schlossen sich Tausend von Arbeitern zu bewaffneten Verbänden zusammen, so waren in Fünfhaus 12.000 Arbeitern unter Waffen. Bevor die kaiserlichen Truppen unter Windisch-Graetz am 31. Oktober Wien eroberten, stellte sich die Mobilgarde nochmals am Äußeren Burgtor zum letzten Kampf.
Am 6. Dezember wurden alle demokratischen und Arbeitervereine aufgelöst und verboten. Die erste Gedenkversammlung anlässlich der Märzrevolution am Schmelzer Friedhof wurde von Kroaten und Seressanern unterdrückt. Ferner wurde der Arbeiterschaft das Recht auf Arbeit verwehrt.
Sozialdemokratische Gedenkkultur im 19. und 20. Jahrhundert
Die Arbeiterbewegung in Österreich konnte erst 1867 mit dem Staatsgrundgesetz und der Erlaubnis der Vereinsfreiheit ihren fast 20 Jahre lang unterbrochenen Kampf um soziale Rechte und politische Gleichberechtigung wieder fortsetzen. Das Schwergewicht des Gedenkens verlagerte sich vom Bürgertum zur Arbeiterschaft bzw. Sozialdemokraten, die ihren Anspruch auf das Erbe der Revolution proklamierte und von allen politischen Fraktionen am intensivsten die Tradition an die Revolution pflegte.
Diese sahen sich als Nachfolger der 35 Opfer der Märzrevolution, weshalb jährlich Gedenkmärsche der Arbeiterschaft zum ehemaligen Grab auf dem Schmelzer Friedhof stattfanden. Seit den 1880er-Jahren fanden sich zehntausende Menschen ein, der Zustrom steigerte sich sogar nach der Überführung der Gebeine auf den Zentralfriedhof. 1895 wurden zwischen 30.000 und 40.000 Menschen verzeichnet, während es 1902 50.000 und zum 50-jährigen Gedenkjahr sogar 200.000 Teilnehmer waren. Nach dem Hainfelder Parteitag hatten die Märzkundgebungen stetig größeren Zulauf und waren ein fester Bestandteil im Organisationskonzept und Programm der SDAP, die Arbeiterzeitung schrieb ausführliche Berichte. Illustrierte Schriften wie die Märzschriften betonten die Bedeutung der Revolution für die aktuellen politischen Ziele - speziell das allgemeine und gleiche Wahlrecht.
Über Beschluss der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) wurde diese Feier in ein stilles Gedenken umgewandelt, das nur noch Kranzniederlegungen der Abordnungen der verschiedenen sozialdemokratischen Organisationen vorsah. Der in der Ersten Republik intensiv gepflegte Brauch der jährlichen Märzfeiern verschwand in der Zweiten Republik.
An der Stelle der ehemaligen Gräber der Märzgefallenen am Schmelzer Friedhof und späteren Märzpark befindet sich ein schlichter Gedenkstein mit der Aufschrift "März 1848" (siehe: Denkmal für die Opfer der Märzrevolution 1848 (15, Märzpark) und Denkmal für die Opfer der Märzrevolution 1848).
Weitere Maßnahmen, um das Gedenken an die Revolution zu pflegen, waren die Benennung des Robert-Blum-Hofs und der Robert-Blum-Gasse sowie der Märzstraße und des Märzparks. Der Währinger Park wurde zunächst "Robert-Blum-Park" getauft.[1]
Zu weiteren Erinnerungsstätten zur Revolution siehe: Revolution 1848 (Erinnern).
Übersichtskarte der Erinnerungsstätten
Literatur
- Wolfgang Häusler: Ideen können nicht erschossen werden. Revolution und Demokratie in Österreich 1789-1848-1918. Wien/Graz/Klagenfurt: Molden 2017
- Wolfgang Häusler: Von der Massenarmut zur Arbeiterbewegung. Demokratie und soziale Frage in der Wiener Revolution von 1848. Wien [u.a.]: Jugend und Volk 1979
Weblinks
- 1848: Die vergessene Revolution - Verein für Geschichte der ArbeiterInnenbewegung
- 13. März 1848 - Weblexikon der Wiener Sozialdemokratie
- Arbeiterdemonstrationen August 1848 - Weblexikon der Wiener Sozialdemokratie
- dasrotewien.at Weblexikon der Wiener Sozialdemokratie - Märzgänge
Referenzen
- ↑ Franz Knispel: Zur Geschichte der Friedhöfe in Wien. Wien: Wiener Stadtwerke - Städtische Bestattung 1992, Band 2, S. 143