Französisch-österreichische Beziehungen im Nachkriegs-Wien
Die französische Armee übernahm mit 1. September 1945 als Konsequenz des Potsdamer Abkommens die zuvor sowjetisch besetzten Bezirke 6, 14 (ohne Hadersdorf-Weidlingau), 15 und 16. Außerhalb Wiens fielen noch Vorarlberg und Tirol in die französische Besatzungszone. Die französischen Truppen in Österreich unterstanden formell den Forces françaises en Allemagne (FFA), erster Oberkommandierender und ab 1946 Hochkommissar war General Marie Emile Béthouart, er wurde 1950 von Jean Payart abgelöst. Als Stadtkommandant fungierte zunächst Noel Du Payrat (bis Februar 1946).
In ihrer Beziehung zur österreichischen Bevölkerungen wurden die französischen Soldaten angewiesen, zwischen Kriegsverbrechern, ehemaligen Mitgliedern der nationalsozialistischen Partei und restlicher Bevölkerung zu unterscheiden, wobei auch bei letzterer zu Beginn noch unklar schien, wie sehr sie dem Nationalsozialismus tatsächlich abgeneigt war. Anfang September nahm die französische Sektion der Alliierten Kommission Kontakt zum österreichischen Heeresamt auf, die Interaktionen verliefen höflich und waren von beiderseitigem Interesse geprägt.
Unterkünfte und Stellen
Schon im August 1945 forderte das Wiener Wohnungsamt die Bewohner und Bewohnerinnen der zukünftig französisch verwalteten Bezirke auf, Quartiere bereitzustellen, in denen die französischen Soldaten in Untermiete unterkommen sollten. Ab 14. Jänner 1946 bezahlte die französische Militärbehörde Mieten, ihre Verrechnungsstelle befand sich in 14., Hütteldorfer Straße 128 – dort wurden auch Lieferungen und Leistungen an die Behörde abgerechnet. Beim Wiener Magistrat konnte man Entschädigungen für Mieten, Strom- und Gaskosten geltend machen, die Verrechnungs- und Kassenstelle für die französische Militärbehörde war in 14., Breitenseer Straße 82a angesiedelt.
Bevor die französischen Streitkräfte ihre Verwaltungszone übernahmen, war ihre Militärmission im Hotel Sauer angesiedelt (14., Linzer Straße 105). Anfang August bezogen sie ihr Hauptquartier im Hotel Kummer an der Mariahilfer Straße (6., Mariahilfer Straße 71a). Auch das Altersheim Baumgarten war bis September 1946 französisch besetzt, bis Herbst 1951 blieb ein Pavillon der Pflegeanstalt Steinhof in französischer Hand. Im Sommer 1946 fanden französische Militärmanöver am Galitzinberg und in der Gegend der Jubiläumswarte statt, weshalb diese Gebiete an den Wochenende für Zivilpersonen gesperrt blieben.
Ende November 1953 waren 247 Wohnungen und 69 Objekte unter französischer Kontrolle (insgesamt hielten alle vier Besatzungsmächte 2071 Wohnungen und 637 Objekte), Anfang 1954 gaben die Franzosen nochmals 60 Wohnungen, drei Villen, eine Fabrik und das Hotel Bavaria frei. Kurz vor dem Abzug der Besatzungsmächte hielt die französische Armee nur noch 197 Objekte (alle Mächte: 3082).
Französische Hilfs- und Unterstützungsleistungen
Die französische Besatzungsmacht unterstützte vor allem Kinder und Jugendliche. Im Dezember 1945 verteilte die Armee Bäckereien an 7500 Kinder im 14. Bezirk, im Jahr darauf spendete Béthouart zu Weihnachten 20.000 Schilling für arme Kinder. Im Sommer 1947 wurden außerdem 102 Wiener Kinder nach Frankreich entsandt, wo sie bei Pflegeeltern aufgepäppelt wurden. Im August 1948 überließ Béthouart die Einnahmen aus einem internationalen Reitturnier, das die Franzosen in Wien veranstaltet hatten, an Bürgermeister Körner – insgesamt gingen 100.000 Schilling wiederum an arme Kinder. Im Februar 1950 gewährte Béthouart der Nachwuchspianistin Helene Sklenicka ein Stipendium für das Pariser Konversatorium. Auch Béthouarts Nachfolger, Jean Payart, spendete im September 1954 10.000 Schilling für die ärmsten Wiener.
Die französische Zone war am geringsten von Zerstörungen betroffen, dennoch beteiligte sich die französische Armee auch an Wiederaufbau-Aktionen, so organisierte sie beispielsweise im April 1946 eine Schutträumungsaktion am Rathausplatz, sie stellte LKWs zur Verfügung und versorgte die freiwilligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit einer Mahlzeit. Im Juni 1946 waren pro Tag durchschnittlich neun französische Fahrzeuge bei der Schutträumung in Verwendung.
Politische Zusammenarbeit
Anfang 1947 wurden im Einverständnis mit der französischen Kommandantur die Urnen von 51 französischen KZ-Opfern aus Sammelgräbern am Zentralfriedhof enterdigt und in einer eigenen Grabstätte beigesetzt. Wie auch die anderen Besatzungsmächte nahm die Führungsschicht der französischen Besatzung an allen großen Feierlichkeiten teil, so etwa bei den Jahrestagen der Befreiung. Im August 1949 empfing Bürgermeister Körner den französischen Innenminister Jules Moch.
Zu einer engen Zusammenarbeit kam es im Bereich der Feuerwehr. Major de la Prade, der Leiter der französischen Kontrollmission für das österreichische Feuerwehrwesen, trieb insbesondere die internationale Vernetzung der österreichischen Feuerwehr voran. Die Kontrollmission wurde im August 1947 aufgelöst. Der Branddirektor Wiens, Josef Holaubek, wurde 1946 auf dem Internationalen Feuerwehrkongress in Paris für seine Leistungen beim Wiederaufbau ausgezeichnet. Am 24. Juni 1950 veranstalteten die Pariser und die Wiener Feuerwehr vor 20.000 Zusehenden eine gemeinsame Leistungsschau am Rathausplatz.
Kulturelle Kontakte
Das Französische Kino-Archiv und die Gesellschaft der Filmfreunde Österreichs schlossen Anfang 1946 ein Übereinkommen über eine Zusammenarbeit ab, das den Austausch von Filmmaterial, Dokumenten und Zeitschriften vorsah. Die Filmfreunde organisierten spezielle Vorführungen französischer Filme und stellten das übrige Material über ihre Bibliothek der österreichischen Öffentlichkeit zur Verfügung. Im Rahmen dieser Kooperation kam es beispielsweise zur Aufführung des Films "Die Marseillaise" anlässlich des 100jährigen Jubiläums der Märzrevolution 1848.
Im Jahr 1948 gastierte die französische Ausstellung "Architektur und Städtebau" in Wien, zu diesem Anlass besuchte der Architekt Le Corbusier Wien. Im Herbst des selben Jahres stellte Fritz Wotruba erfolgreich in Paris aus. 1953 gab das Ensemble des Théâtre National Populaire, geleitet von Jean Vilar, ein Gastspiel in Wien, im Folgejahr trat die Comédie Française im Theater in der Josefstadt auf.
Am 1. Oktober 1948 eröffnete in 6., Amerlingstraße 6 im Amerling-Gymnasium das Lycée Français de Vienne, bestehend aus einer Volks- und einer Mittelschule. Die Lehrkräfte waren sämtlich aus Frankreich, auch der Lehrplan entsprach französischen Standards.
Auch im sportlichen Bereich kam es schon bald zu Kontakten, am 5. Dezember 1945 spielte das französische Fußball-Nationalteam im Praterstadion gegen das österreichische. 1949 entschied das französische Fecht-Nationalteam einen Wettkampf mit dem österreichischen für sich, die französischen Kegler stellten sich anlässlich der ersten Nachkriegs-Kegelmeisterschaft in Wien ein. Bei der ersten Österreich-Radrundfahrt empfing Bürgermeister Körner das französische Team. Im Folgejahr beteiligten sich Franzosen u.a. an der Billard-Europameisterschaft, die französische Eiskunstlaufmeisterin gastierte für ein Schaulaufen in Wien.
Kriegsgefangene
Im Mai 1947 befanden sich noch 226 Wiener in französischer Gefangenschaft, 1118 Wiener wurden in Frankreich vermisst. Von September 1947 bis Anfang Jänner 1949 kam allerdings nur ein Heimkehrertransport aus Frankreich an. Noch 1952 waren Wiener in französischer Gefangenschaft, diese erhielten von der Stadt Wien Unterstützungsleistungen und zu Ostern Liebesgabenpakete mit Nahrungsmitteln, Hygieneartikeln und Zigaretten.
Wirtschaftsbeziehungen
Im Juni 1946 reisten Vertreter der Städtischen Unternehmungen nach Frankreich, um dort für den Wiederaufbau benötigtes Material zu beschaffen. Im Herbst des selben Jahres erstand die Stadt 10 Autobusse der Firma Renault für den Überlandverkehr, außerdem kam es zu Verhandlungen über die Lieferung von Material für die Reparatur von Rohren.
Fremdenverkehr
Als Wien 1950 den ersten Fremdenverkehrsprospekt der Nachkriegszeit herausgab, entschloss man sich, diesen auch auf Französisch aufzulegen. Im Winter 1951/52 waren französische Reisende die sechstgrößte Touristengruppe, im August 1953 kamen über 3000 französische Besucherinnen und Besucher nach Wien, damit war Frankreich nach Italien das zweitgrößte Herkunftsland.
Kontakt zur Bevölkerung
Im Vergleich zu den anderen Besatzungsmächten war die französische Armee recht schwach vertreten, in ganz Österreich befanden sich zu Jahresende 1945 nur 25.000 Franzosen. Französische Soldaten waren vergleichsweise selten in Verkehrsunfälle verwickelt, doch kam etwa im April 1946 ein Zivilist durch ein französisches Militärfahrzeug zu Tode. Auch in Unfälle mit Straßenbahnen waren französische Fahrzeuge verwickelt, im Februar 1946 hatte ein solcher drei Verletzte und ein Todesopfer zur Folge, im April verstarb ein französischer Lenker bei einer aufsehenerregenden Kollision mit zwei Triebwägen.
Quellen
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Nachlass Körner, A1.4.24
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Nachlass Körner, A1.4.2
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Nachlass Körner, A1.2.2
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Nachlass Körner, A1.4.8
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Nachlass Körner, A1.4.18
- Rathauskorrespondenz vom August 1945, November 1945, Dezember 1945, Jänner 1946, April 1946, Mai 1946, Juni 1946, Juli 1946, September 1946, Oktober 1946, Dezember 1946, April 1947, Mai 1947, Juni 1947, August 1947, Oktober 1947, Dezember 1947, März 1948, Mai 1948, Juni 1948, November 1948, Jänner 1949, Februar 1949, Juli 1949, April 1950, Juni 1950, September 1950, November 1950, September 1951, Jänner 1952, Juni 1952, September 1953, Dezember 1953, April 1954, September 1954, November 1954, Mai 1955