Erste Hochquellenleitung
Die Erste Hochquellenleitung (bis 21. April 1922: erste Kaiser-Franz-Joseph-Hochquellenleitung) ist ein Teil der Wiener Wasserversorgung. Die ab 1869 gebaute und 1873 eröffnete, 95 Kilometer lange Leitung kostete 16 Millionen Gulden und ermöglichte erstmals die flächendeckende Versorgung Wiens mit einwandfreiem Trinkwasser. Sie wurde deshalb zum Symbol für die Befreiung von Wassernot und Seuchengefahr. Insbesondere die Erkrankungen an Cholera und Typhus konnten durch die flächendeckende Bereitstellung von hygienisch einwandfreiem Quellwasser stark gesenkt werden. Die Erste Hochquellenleitung ist eine reine Gravitationsleitung, was bedeutet, dass das Wasser nur durch Schwerkraft befördert wird.
Durch die Einleitung weiterer Wasserfassungen beträgt die Gesamtlänge der Ersten Hochquellenleitung heute 150 Kilometer. Sie fördert 220 Millionen Liter täglich aus dem Rax, Schneeberg-, Schneealpengebiet nach Wien.
Siehe auch: Erste Hochquellenleitung (Zeitleiste)
Hintergrund
Da die bestehenden Wasserleitungen, wie zum Beispiel die Albertinische- oder die Kaiser-Ferdinands-Wasserleitung nach der Eingemeindung der Vorstädte (1850) für den Bedarf der Großstadt Wien nicht ausreichten, beschloss der Gemeinderat nach langjährigen Beratungen am 12. Juli 1868 über Anregung des Geologen Eduard Suess und aufgrund eines starken persönlichen Engagements von Bürgermeister-Stellvertreter Dr. Cajetan Felder, eine neue Wasserleitung zu errichten. Das Wasser sollte bevorzugt aus Gebirgsquellen, deren Wasser kaum durch menschlichen Einfluss verschmutzt war, zugeleitet und nicht aus der Donau filtriert werden (wie dies bei der Kaiser-Ferdinands-Wasserleitung geschehen war). Das Projekt war wegen seiner Größenordnung sowohl aus technischen als auch finanziellen Gründen im Gemeinderat, unter Experten und in der Öffentlichkeit umstritten. Wurden bis dahin 20.000 Kubikmeter Wasser am Tag gefördert, so sollte nun eine tägliche Wassermenge von 138.000 Kubikmeter bestes Gebirgsquellwasser zur Stadt geführt werden.
Planung
Vorarbeiten
Bereits 1860 begann das Stadtbauamt mit Vorerhebungen und Studien zum Ausbau der Wasserversorgung Wiens. Am 21. Mai 1861 wurde im neu konstituierten Gemeinderat ein Antrag auf Anlegung einer neuen Wasserleitung aus der Gegend zwischen Hütteldorf und Mariabrunn eingebracht. Im Juli des selben Jahres diskutierte der Gemeinderat über die dringend notwendige Erhöhung der Leistungsfähigkeit der Kaiser-Ferdinands-Wasserleitung. Am 31. Juli 1861 überreichte das Stadtbauamt dem Gemeinderat die Ergebnisse der Vorstudien zur Wasserversorgung in Form einer Denkschrift. Diese Denkschrift sollte zum grundlegenden Dokument für den Bau der Ersten Hochquellwasserleitung werden: die Experten waren sich einig, dass weder eine Leistungssteigerung der Kaiser-Ferdinands-Wasserleitung noch die Erschließung weiterer Quellen im näheren Wienerwaldgebiet ausreichen würden, um die Stadt zu versorgen. Um das Problem der Wasserversorgung zu lösen, brauche es ein größeres Projekt, das dringend veranlasst werden müsste. Im August 1861 beschloss der Gemeinderat daraufhin einen Wettbewerb für die künftige Wasserversorgung auszuloben, der am 1. Dezember 1861 kundgemacht wurde.
Im Mai 1862 prüfte ein Spezialkomitee des Gemeinderates die zwölf im Zuge des Wettbewerbs eingebrachten Offerten und erstellte einen entsprechenden Bericht. Obwohl der Gemeinderat in der Ausschreibung seine Präferenz für Gebirgswasser ausdrücklich betont hatte, beinhalteten die eingebrachten Offerten neben Vorschlägen, Wasser aus den Quellgebieten zu beziehen, auch Projekte, welche die Donau oder die Traisen als mögliche Bezugsquellen nannten. Die vielversprechendste Bezugsquelle war das Quellgebiet des Flusses Fischa-Dagnitz bei Haschendorf, Bezirk Ebenfurt im Wiener Becken. Das eingerichtete Spezialkomitee des Gemeinderates und die Stadterweiterungskommission waren jedoch nicht in der Lage die Wasserversorgungsfrage nachhaltig zu klären. Nach zahlreichen Debatten zwischen den verschiedenen Fraktionen im Gemeinderat wurde am 21. November 1862 schließlich beschlossen, Gebirgswasser der Donau vorzuziehen und eine 12-köpfige Kommission zur Wasserversorgung einzurichten, die weitere Untersuchungen zu möglichen Bezugsquellen durchführen sollte. Weiters wurde beschlossen, dass die Gemeinde Wien die Kosten für die Wasserversorgung auf sich nimmt.
Die Auswahl der Quellen
Die neu gebildete Wasserversorgungskommission begann umgehend mit Erhebungen und Messungen an allen potenziellen Bezugsquellen. Besondere Aufmerksamkeit lag zunächst auf den Fischa-Dagnitz-Quellen. Da aber die Höhenlage dieser Quellen es nicht ermöglicht hätte, das Wasser ohne Betrieb einer Pumpanlage auch in den höher gelegenen Gebieten der Stadt bis in die obersten Stockwerke zu leiten und aufgrund der intensiven landwirtschaftlichen und industriellen Nutzung im Einzugsgebiet der Quellen zukünftig Verschmutzungen des Wassers erwartet wurden, verwarfen die Kommissionsmitglieder unter der fachlichen Leitung des Geologen Eduard Suess diese Idee. Die Aufmerksamkeit konzentrierte sich immer mehr auf die Quellen im Bereich von Schneeberg und Rax: auf den Kaiserbrunnen im Höllental, die Quelle Stixenstein und die Altaquelle.
Eduard Suess, der 1863 Mitglied des Gemeinderates und der Kommission geworden war, führte mit weiteren Experten in den genannten Gebieten umfassende Erhebungen durch, auf deren Grundlage er dem Wiener Gemeinderat im Mai 1864 einen Bericht vorlegte. Die Mitglieder der Wasserversorgungskommission empfahlen auf Grundlage diese Berichts die Nutzung der Hochquellen Kaiserbrunn und Stixenstein sowie der Tiefquelle Alta zur künftigen Wasserversorgung der Stadt. Das "Drei-Quellen-Projekt" liefere nicht nur eine ausreichende und qualitativ den höchsten Anforderungen genügende Wassermenge, auch die Baukosten wären geringer als jene einer möglichen Zuleitung der Fischa-Dagnitz, da keine dampfbetriebenen Pumpen notwendig würden. Am 12. Juli 1864 erteilte der Gemeinderat die Zustimmung zu dem Projekt.
In den folgenden Jahren arbeitete die Wasserversorgungskommission gemeinsam mit technischen Experten ein detailliertes Bauprojekt aus. An den drei Quellen wurden laufend Messungen durchgeführt, das Gelände der zukünftigen Trasse wurde ebenfalls vermessen. Am 25. Mai 1866 legte sie dem Gemeinderat das fertige Bauprojekt zur Beschlussfassung vor. Aufgrund eines technischen Gutachtens war die Altaquelle, deren Abflussmenge als zu unbedeutend eingestuft wurde, nicht mehr Teil des Projekts. Nach intensiven Debatten, in denen die Argumente der während der vergangenen zwei Jahre geäußerten Kritiken nochmals zur Sprache kamen, stimmte die Mehrheit der Gemeinderäte am 19. Juni 1866 für die Umsetzung des Projekts.
Bau und Eröffnung
Nachdem der Kaiserbrunnen und die Quelle Stixenstein in den Besitz der Stadt Wien gelangt waren, wurde am 22. Juli 1868 der Baukonsens für die Wasserleitung erwirkt. Die Stadt Wien konnte mit der Ablöse der benötigten Grundstücke beginnen. Ein Jahr später war der Baukonsens rechtskräftig geworden und so wurde die Vergabe der Bauarbeiten am 30. April 1869 öffentlich ausgeschrieben. Den Zuschlag erhielt der Bauunternehmer Antonio Gabrielli aus London, der sich freiwillig dazu verpflichtete, von allen Verdienstbeträgen so lange 1 Prozent zurückzustellen, bis 100.000 Gulden zur Errichtung eines Brunnens zusammengekommen waren. Mit dieser Summe wurde später der Hochstrahlbrunnen am Schwarzenbergplatz gebaut. Vertraglich wurde ein Bauabschluss innerhalb von vier Jahren vereinbart.
Am 6. Dezember 1869 wurde die erste Sprengung vollzogen. Der offizielle Baubeginn erfolgte am 21. April 1870.
Die Bauleitung erfolgte durch die beiden Ober-Ingenieurs-Abteilungen, die sich bereits bei der Ausarbeitung des detaillierten Bauprojekts bewährt hatten. Die Erste Abteilung unter der Leitung von Civil-Ingenieur Carl Junker verantwortete die Herstellung der Wasserschlösser und der Wasserleitung von den Quellen bis zu den Wasserbehältern in Wien. Die Zweite Abteilung unter Otto Wertheim, der die Leitung nach dem Tod Karl Gabriels am 17. Juli 1868 übernommen hatte, war für den Bau der Wasserbehälter und des Röhrennetzes verantwortlich.
Die Bauarbeiten wurden gleichzeitig an mehreren Stellen entlang der gesamten Strecke und im Stadtgebiet durchgeführt. Im ersten Baujahr waren circa 2.500 bis 3.000 Arbeiter (darunter wohl auch Arbeiterinnen, wie historische Fotografien belegen) täglich im Einsatz. In den folgenden Baujahren waren zeitweise sogar doppelt so viele Arbeitskräfte angestellt. Woher die Arbeiter und Arbeiterinnen stammten, wie sie untergebracht und bezahlt wurden und welchen Arbeitsbedingungen sie ausgesetzt waren, ist bisher nicht erforscht worden. Baumeister Antonio Gabrielli dürfte zahlreiche italienische Arbeiter angeheuert haben, zu deren Unterbringung Barracken bei den Baustellen errichtet wurden.
Bauarbeiten der Ersten Abteilung – Wasserleitung von den Quellen bis nach Wien
Die Arbeiten, die teilweise in schwer zugänglichem Gebiet und im Wasser stehend verrichtet werden mussten, waren mit Sicherheit körperlich äußerst fordernd. Ein Großteil der Bauarbeiten erfolgte manuell. Ausbruchmaterial aus den Stollen und Durchstichen sowie das Baumaterial wurden mittels Rollwägen, die entweder händisch oder von Pferden auf Schienen gezogen wurden, transportiert. Auch einspännige, zweirädrige Pferdewägen waren auf den Baustellen im Einsatz. Für die gefährlichen Sprengungen der Stollen wurden auch Soldaten des Geniekorps eingesetzt. Ob es dabei Todesfälle zu beklagen gab, ist nicht bekannt. Ein Journalist der Morgenpost berichtete beispielsweise von einem Unfall durch einen weggeschleuderten Felsbrocken bei der ersten Sprengung.[1]
Von den Wasserschlössern Kaiserbrunn und Stixenstein wurde der Leitungskanal durch zahlreiche Stollen und über Aquädukte und Brücken Richtung Wien geführt. Besondere Herausforderungen ergaben sich durch das Eindringen von Grund- und Flusswasser sowie an jenen Punkten, an denen die Wasserleitung nahe an andere Bauwerke wie beispielsweise Wehre, Werkskanäle, Eisenbahnschienen oder Fabriken heranreichte. Die Kanäle wurden aus Bruchsteinen gemauert. Um die Wasserleitungskanäle Instand zu halten und den Wasserstand kontrollieren zu können, wurden ungefähr alle 1.000 Klafter (knapp 2 Kilometer) Aichtürmchen errichtet und in geringerer Entfernung voneinander Einbruchschächte angelegt.
Die Ausführung der Bauarbeiten wurde von unabhängigen Experten überprüft, die trotz einiger kleinere Mängel eine solide Bauausführung attestierten. Nach dem Abschluss der Bauarbeiten wurde die Wasserleitung 1873 sukzessive mit Wasser gefüllt. Am 1. September 1873 erreichte das Wasser den Wasserbehälter Rosenhügel und füllte diesen innerhalb einer Stunde und 20 Minuten.
Bauarbeiten der Zweiten Abteilung – Wasserspeicherung und Verteilung in Wien
Mit dem Spatenstich am 21. April 1870 am Wasserbehälter Rosenhügel begannen die Bauarbeiten an den drei Reservoirs (neben dem Rosenhügel auf der Schmelz und am Wienerberg). Die Wasserbehälter wurden im August 1873 fertiggestellt und im September erstmals befüllt.
Größere Herausforderungen bestanden beim Verlegen der Rohre im Stadtgebiet. Im ersten Baujahr kam es zu Lieferverzögerungen bei fast allen bestellten Röhrendimensionen. Als die Rohre im zweiten Baujahr verlegt werden sollten, zeigten sich Probleme in der Druckbeständigkeit. Durch die Verwendung minderer Eisenqualitäten waren die aus Kostengründen recht knapp kalkulierten Wandstärken der größeren Röhren zu gering dimensioniert, so dass es zum Bersten einiger Rohre kam. Die Bauarbeiten wurden im Frühling 1871 vorübergehend eingestellt, bis unter den zugezogenen Experten Klarheit über das weitere Vorgehen hergestellt war. Am 1. Februar 1872 beschloss der Gemeinderat die Verstärkung der Röhrenwände und den Bau eines weiteren, tiefer gelegenen Wasserbehälters am Laaerberg, um den Druck in den Röhren der tiefer gelegenen Versorgungsgebiete zu mindern. Nach der Umarbeitung des Bauprojekts konnten die Arbeiten im April 1872 wieder aufgenommen werden.
Die benötigten Maschinenteile (Schieber, Hydranten, etc.) wurden von der Berliner Firma Elsner & Stumpf bezogen, die zur Vertragserfüllung in Wien eine eigene Maschinenwerkstätte errichtete.
Fertigstellung und Eröffnung
Im Winter 1872/1873 schlug der Bauunternehmer Antonio Gabrielli dem Gemeinderat vor, die Arbeiten gegen die Bezahlung einer Prämie bereits im Oktober 1873 anstatt, wie vertraglich vereinbart, erst 1874 fertigzustellen. Da sowohl die sanitäre – ab 1872 wurde Wien erneut von einer Choleraepidemie bedroht und die Kaiser-Ferdinands-Wasserleitung lieferte nur ungenügend Wasser -, als auch die finanzielle Lage äußerst angespannt waren, führt dies zu schwierigen Disskussionen innerhalb der Wasserversorgungskommission. Am 18. Februar 1873 stellte sie im Gemeinderat den Antrag, Gabrielli eine Prämie von einer Million Gulden auszuzahlen, wenn die Bauarbeiten bis zum 1. Oktober 1873 beendet wären. Dieser wurde angenommen.
Tatsächlich konnte der Wasserbehälter Rosenhügel bereits am 1. September 1873 mit Wasser gefüllt werden. Der Wasserbehälter auf der Schmelz wurde am 16. September, jener am Wienerberg am 19. September gefüllt. Vom Rohrleitungsnetz waren entsprechend den vertraglichen Vereinbarungen die Hauptzüge und Zweigleitungen hergestellt worden. In den folgenden Tagen wurde die Reinigung und Ausspülung der Wasserbehälter und Rohrleitungen durchgeführt.
Insgesamt waren bis zum 31. Juli 1873 1,125.000 Zentner (ca. 63.000 Tonnen) hydraulischer Kalk und 304.482 Zentner (ca. 17.000 Tonnen) Portland-Cement verbaut worden. 66.233 Klafter (ca. 125,6 Kilometer) Röhren waren verlegt und 2089 Kanalkreuzungen angelegt worden.
Die feierliche Eröffnung der Hochquellenleitung fand am 24. Oktober 1873 beim Hochstrahlbrunnen am Schwarzenbergplatz durch Kaiser Franz Joseph I. statt.
Betrieb und weiterer Ausbau
Die Betriebsführung der Hochquellenleitung wurde dem Stadtbauamt übertragen, seit 1902 ist für die Wasserversorgung eine eigene Magistratsabteilung zuständig. Für die Instandhaltung der Wasserleitung von den Quellen bis zu den Wasserbehältern wurden bei der Inbetriebnahme ein Sections-Ingenieur, drei Strecken-Ingenieure und 13 Wächter bestellt. Zur besseren Abstimmung wurden die Reservoirs und die Zentrale mit einer telegraphischen Leitung verbunden. Entlang der Wasserleitungsstrecke wurden die Telegraphen der Südbahn mitgenutzt.
Als die Fertigstellung der Wasserleitung 1873 näher rückte, wurden in der Wasserversorgungskommission und im Gemeinderat die Anschluss- und Abgabemodalitäten diskutiert. Vorschläge der Wasserversorgungskommission, die ärmere Bevölkerung beispielsweise durch Gebührenstaffelung nach der Wohnungsgröße geringer zu belasten, konnten sich im Gemeinderat angesichts der hohen angefallenen Investitionskosten nicht durchsetzen. Schließlich wurde eine Gebührenregelung nach Verbrauchsmenge und Verwendungsart beschlossen: Die Basisgebühr deckte einen täglichen Bedarf von 0,6 Eimer (ca. 34 Liter) pro Person und Tag ab, die je nach Versorgungslage um bis zu 20 % überschritten werden durfte. Darüber hinausgehender Bedarf für Haushalte und der Bedarf für industrielle Zwecke waren anmeldungspflichtig, die Gebühr dafür etwa doppelt so hoch wie die Basisgebühr. Zur Ermittlung des Wasserverbrauchs mussten Wassermesser verpflichtend eingebaut werden.
Obwohl Hauseigentümer, deren Brunnen minder qualitatives Wasser lieferten, zum Anschluss ihrer Häuser verpflichtet waren, machte die Herstellung der Hausanschlüsse zuerst nur langsam Fortschritte. Ende 1875 hatte etwas über ein Drittel der Wiener Häuser einen Anschluss – und das nicht nur wegen der langsam vorankommenden Bauarbeiten am Röhrennetz. Vor allem Hauseigentümer, die nicht selbst in ihren Häusern wohnten, zögerten die Herstellung eines Anschlusses hinaus. 1876 beschloss der Gemeinderat daher Zahlungserleichterungen für die Anschlusskosten und Begünstigungen bei den Wassergebühren. Aber auch zwangsweise Einleitungen bei Häusern mit besonders schlechten sanitären Bedingungen wurden beschlossen. 1877 waren zwei Drittel der Wiener Häuser an die Erste Hochquellenleitung angeschlossen. Vor allem in den weniger verbauten Bereichen des 2., 3. und 9. Bezirks war das Rohrnetz noch mangelhaft. Trotzdem wirkte sich die Inbetriebnahme der Ersten Hochquellenleitung unmittelbar positiv auf die sanitären Verhältnisse aus. Die Erkrankungen und Sterbefälle durch gastro-intestinale Infekte ging in den ersten Betriebsjahren stark zurück.
Trotz langsam voranschreitendem Ausbau des Röhrennetzes und der Hausanschlüsse wurde das Wasser schon im Winter 1875/1876 knapp. Die veranschlagte durchschnittliche Wassermenge von 65.000 bis 75.000 Kubikmeter pro Tag wurde in den 1870er Jahren zwar durchwegs erreicht, im Winter lag die tatsächlich von den Quellen kommende Wassermenge allerdings an manchen Tagen nur bei 25.000 Kubikmetern. Im Winter 1876/1877 und 1877/1878 musste die bereits 1874 stillgelegte Kaiser-Ferdinands-Wasserleitung wieder in Betrieb genommen werden, was umgehend zu einer erhöhten Zahl von Typhuserkrankungen und Todesfällen führte. 1878 und 1879 wurden daher die Fassungsvermögen der Wasserbehälter erhöht. Das Schöpfwerk Pottschach bei Gloggnitz speiste ab 1878 Wasser aus Grundwasserbrunnen in die Erste Hochquellenleitung ein. 1885 reduzierte der Gemeinderat die in der Basisgebühr enthaltenen Wassermenge auf 25 Liter pro Person und Tag, wodurch vor allem einkommensschwache Haushalte zum Wassersparen gezwungen wurden. 1890 waren 87 Prozent der Häuser an die Erste Hochquellenleitung angeschlossen. Durch die Eingemeindung der Vororte in den folgenden Jahren sank dieser Wert wieder, der Bedarf an Wasser durch die neuen Stadtgebiete stieg aber rasant an.
1896 wurde das Pumpwerk Breitensee eröffnet, das Wasser vom Wasserbehälter Rosenhügel in die neuen Wasserbehälter Breitensee und Schafberg I pumpte, um höhergelegene Gebiete im Westen der Stadt zu versorgen. 1898 bis 1899 wurde am Wienerberg ein Wasserhebewerk und zur Speicherung der Wasserturm Favoriten zur Versorgung der höhergelegenen Gebiete des 10. und 12. Bezirks errichtet. Das gesamte Fassungsvermögen der Wasserbehälter betrug nun 265.000 Kubikmeter.
Um mit dem Hochquellenwasser zu sparen, legte die Gemeinde im Anschluss an die von der Compagnie des Eaux de Vienne 1898 geschaffene Wientalwasserleitung (nicht flächendeckende) Nutzwasserleitungen an.
Der Einbindung weiterer Quellen in die Erste Hochquellenleitung gestaltete sich vor allem aus rechtlichen Gründen schwierig. Betroffene konnten sich nun auf das Reichswasserrechtsgesetz von 1869 und seiner Umsetzung im „Gesetz über Benützung, Leitung und Abwehr der Gewässer für das Erzherzogthum Oesterreich unter der Enns“ von 1870 berufen. Bereits 1877 hatte der Gemeinderat die Nutzung von Quellen des Großen Höllentals („Obere Quellen“) beschlossen. Das Verfahren um die Nutzungsrechte nahm 17 Jahre in Anspruch. Immer wieder mussten vor allem im Winter drastische Sparmaßnahmen getroffen und auch auf die Nutzung von Oberflächenwasser, wie etwa im Winter 1886/1887 aus der Schwarza, zurückgegriffen werden. Die Bauarbeiten zur Quellenfassung wurden im Sommer 1887 begonnen. Gefasst wurden die Quellen des Großen Höllentals, die Fuchspaßquelle, die Quellen in Nasswald, die Reißtalquelle, die Wasseralmquelle, die kleinen Quellen in Hinternaßwald, die Schütterlehnenquelle, die Albertquelle und die Übeltalquelle. Dadurch konnte eine Steigerung der durchschnittlich täglich gelieferten Wassermenge auf 100.000 Kubikmeter im Jahr 1900 erreicht werden. 1906 folgte die Fassung der Heufußquelle, 1908 ein Schöpfwerk beim Reithof in Naßwald und die Fassungen der Preintalquelle und der Schwarzriegelbachquellen.
1899 erwarb die Stadt Wien die Sieben Quellen im Karlgraben bei Neuberg an der Mürz (Steiermark). 1909 wurde das Grundwasserwerk Matzendorf errichtet. Die Eröffnung der Zweiten Hochquellenleitung 1910 machte weitere Ausbauten an der Ersten Hochquellenleitung vorerst obsolet.
Entwicklung während der Weltkriege und bis heute
Nach dem Ersten Weltkrieg war durch den Rückgang der Bewohnerzahlen und der schwachen Wirtschaft mehr Wasser vorhanden, als benötigt wurde. Wasser wurde daher auch an umliegende Gemeinde wie Brunn am Gebirge, Schwechat und Klosterneuburg abgegeben. Erst in den 1930er-Jahren stieg der Verbrauch wieder stark an. Im Zweiten Weltkrieg, 1944 und 1945 wurden Teile des Leitungskanals zerstört, die Sanierung dauerte mehrere Jahre. In der Nachkriegszeit stieg der Wasserbedarf der Stadt weiter an.
1953 bis 1958 entstand der Wasserbehälter Neusiedl am Steinfeld mit ca. 600.000 Kubikmetern Fassungsvermögen. 1965 wurde das gesamte Rax-Schneeberg-Schneealpenmassiv zum Wasserschutzgebiet erklärt. Im selben Jahr begannen die Arbeiten zur Einleitung der Sieben Quellen bei Neuberg an der Mürz (Steiermark). Ab dem 3. September 1974 konnte dieses Wasser in Wien genutzt werden. Ab Dezember 1988 erfolgte die Einleitung der Pfannbauernquelle (im Aschbachtal an der Mariazeller Bundesstraße). Zwischen 2012 und 2015 wurden die Aquädukte umfassend renoviert.
Karte
Die folgende Karte zeigt den Verlauf der Ersten Hochquellenleitung sowie im Wien Geschichte Wiki erfasste Quellen und Wasserbehälter.
Quellen
- WStLA, Pläne und Karten - Sammelbestand, P1: 259 - Wasserversorgung
- WStLA, Pläne und Karten - Sammelbestand, P1: 315 - Pläne (Atlas) zum Bericht über die Erhebungen der Wasserversorgungskommission des Gemeinderates der Stadt Wien
- Wiener Stadt- und Landesarchiv, Kommissionen und Komitees, B22.412-422: Beschluss Protokolle der Wasserversorgungs-Commission 1863 bis 1880
- Stadtplan, Wasserversorgung (1876)
Literatur
- Sándor Békési: Auf dem Weg zur Stadtmaschine? Zur Infrastrukturentwicklung Wiens in der frühen Gründerzeit, in: Wolfgang Kos, Ralph Gleis (Hg): Experiment Metropole – 1873: Wien und die Weltausstellung (Ausstellungskatalog Wien Museum), Wien 2014, S. 94-105
- Sándor Békési: Elixier der Wiener, in: Die Presse, Spectrum, 13. Sept. 2014, Seite IV - online: [1]
- Renate Banik-Schweitzer: Liberale Kommunalpolitik in Bereichen der technischen Infrastruktur Wiens, in: Wien in der liberalen Ära (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte, Bd. 1), Wien 1978, S. 91-119
- Manfred Hohn: Feldbahnen beim Bau der Wiener Hochquellenleitungen. Eisenbahnen bei Bau der I. und der II. Wiener Hochquellenleitung, dem Schneealpenstollen, der Pfannbauernquelle-Überleitung und dem Wasserleitungskraftwerk Gaming. Wien: Bohmann 2007
- Gerhard Meißl: Hochquellenleitungen und Unratsschiffe. Zur Geschichte der Wiener Wasserver- und -entsorgung vor 1914. In: Sylvia Hahn & Reinhold Reith (Hrsg.): Umwelt-Geschichte. Arbeitsfelder – Forschungsansätze – Perspektiven. Wien: Verlag für Geschichte und Politik 2001, S. 157-179
- Peter Payer: Johannes Hloch: Gebirgswasser für die Stadt. Die I. Wiener Hochquellenleitung. Falter-Verlag, Wien 2023
- Peter Payer, Paul Hellmeier: Trinkwasser mit Wohlfühldruck. 150 Jahre Wiener Hochquellenleitung (Wien Museum Magazin, 2023)
- Peter Suchomel: 125 Jahre Wiener Wasserversorgung, in: Perspektiven, 6-7/1998, S. 12-23
- Hans Sailer: Die Alternativprojekte zum Bau der I. Wiener Hochquellenleitung, in: Perspektiven, 6-7/1998, S. 24-26
- Josef Donner: "Dich zu erquicken, mein geliebtes Wien ..." . Geschichte der Wiener Wasserversorgung von den Anfängen bis 1910. Wien: NORKA Verl. [1990], S. 40 ff.
- Josef Donner: Wiener Wasser - Eine Dokumentation. Veröffentlicht in 19 Folgen Wien Aktuell Heft 41 (1973) bis Heft 9 (1974)
- Alfred Drennig: Die I. Wiener Hochquellenwasserleitung. Festschrift aus Anlaß der 100-Jahr-Feier am 24. Oktober 1973. Wien: Jugend & Volk 1973
- Cajetan Felder: Erinnerungen eines Wiener Bürgermeisters (hg. v. Felix Czeike), Wien 1964, S. 257, 266 u. 316
- Gustav Gugitz: Bibliographie zur Geschichte und Stadtkunde von Wien. Hg. vom Verein für Landeskunde von Niederösterreich und Wien. Band 2: Die Gemeinde, ihre Verwaltung und sozialen Belange, Wirtschaftsleben, Handel, Industrie, Gewerbe und Landwirtschaft, Volkskunde, Naturwissenschaft, Klimatologie, Meteorologie, Naturereignisse, Varia und Kuriosa. Wien: Jugend & Volk 1955, S. 58 ff.
- Ferdinand Lettmayer [Hg.]: Wien um die Mitte des XX. Jahrhunderts - ein Querschnitt durch Landschaft, Geschichte, soziale und technische Einrichtungen, wirtschaftliche und politische Stellung und durch das kulturelle Leben. Wien: 1958, S. 574 ff.
- Briefmarkenabhandlung der Postdirektion anlässlich des Erscheinens von österreichischen Briefmarken 17.10.1973 und 20.11.1985
- Werner Schubert: Favoriten. Wien: Mohl 1980, S. 41, 54, 66, 284
- Maren Seliger / Karl Ucakar: Wien. Politische Geschichte 1740-1895. Wien: Jugend & Volk 1985 (Geschichte der Stadt Wien, 1), Register
- Eduard Sueß: Erinnerungen, Leipzig: Hirzel 1916, S. 154f
- Rudolf Stadler: Die Wasserversorgung der Stadt Wien in ihrer Vergangenheit und Gegenwart. Denkschrift zur Eröffnung der Hochquellen-Wasserleitung im Jahre 1873. Wien: Gemeinderat 1873
Weblinks
Österreichische Wasserwerke - Folder: Geschichte der Wiener Wasserversorgung
Einzelnachweise
- ↑ Die Eröffnung der Wasserleitungsarbeiten im Höllenthal. In: Morgenpost, 8. Dezember 1869, S. 2 f.