Unterschiede Synagoge – Bethaus
Im Gegensatz zu Synagogen sind jüdische Bethäuser keine freistehenden Gebäude sondern im eigentlichen Sinn Beträume in Gebäuden, die sich auch über zwei Stockwerke ausdehnen konnten.
Der jüdische Gottesdienst in Synagogen und Bethäusern
Das wesentliche Merkmal eines jüdischen Gottesdienstes ist das gemeinsame Gebet und das Vorlesen aus der Thora, den fünf Büchern Moses, sowie aus den Prophetenbüchern unter Mitwirkung von Rabbinern, Vorbetern, Kantoren und Betenden. Für bestimmte Gebete im jüdischen Gottesdienst ist die Anwesenheit von zehn jüdischen Männern erforderlich. Diese Versammlung von zehn Männern bezeichnet man als „Minjan“. An den Gottesdiensten können Frauen aktiv teilnehmen, sie sind aber für einen „Minjan“ nicht erforderlich, da Frauen nicht die Pflicht haben, zeitgebundene Gebote zu befolgen. Gottesdienste finden täglich dreimal morgens mittags und abends statt, wobei das Mittagsgebet meist abends vor Sonnenuntergang beginnt, damit das Abendgebet nach Sonnenuntergang gleich anschließen kann. An Samstagen (= hebräisch Shabbatot), den Ruhetagen der Juden, sowie an jüdischen Feiertagen werden spezielle zusätzliche Gebete gesagt und der jeweilige Wochenabschnitt aus den fünf Büchern Moses sowie die zugehörige Stelle aus den Propheten (Haftarah) vorgelesen.
Jüdische Feste in Synagogen und Bethäusern
Jedes jüdische Fest hat spezielle Bräuche, Liturgien und Melodien. Das jüdische Jahr beginnt im Herbst mit dem jüdischen zweitägigen Neujahrsfest Rosch Hashanah (=Der Kopf oder Anfang des Jahres), gefolgt vom höchsten jüdischen Feiertag, dem Versöhnungstag Jom Kippur (=Tag der Sühne). Einige Tage nach Jom Kippur beginnt das achttägige Laubhüttenfest, bei dem man in Hütten (Sukkot) wohnt und isst. Das Laubhüttenfest endet mit dem Fest der Thorafreude, Simchat Thora, bei dem einmal im Jahr alle Thorarollen aus dem Thoraschrein herausgenommen und mit ihnen freudige Umzüge veranstaltet werden. Im Dezember folgt das Chanukka-Fest, an dem man acht Tage lang an einem speziellen achtarmigen Leuchter immer eine Kerze mehr anzündet. Am Purimfest verkleidet man sich und gedenkt der Rettung der Juden zur Zeit des persischen Königs Ahasveros. Im Frühjahr bezeichnet das siebentägige Pessach-Fest, einen Höhepunkt des jüdischen Jahres. Bei diesem wird an einem Abend, dem Seder-Abend, die Geschichte des Auszugs der Juden aus Ägypten erzählt, wobei spezielle Speisevorschriften gelten und man kein Gesäuertes essen darf. Auf das Pessach-Fest folgt sechs Wochen später das Wochenfest (Schawuot), an dem die Gabe der Thora am Sinai an das jüdische Volk gefeiert wird. Alle diese Feierlichkeiten prägen das religiöse und soziale Leben der Mitglieder einer Synagoge und eines Bethauses.
Geschichte jüdischer Bethäuser in Österreich
Jüdische Bethäuser sind in Österreich seit dem Mittelalter belegt. Überall wo Juden lebten, entstanden Bet- und Lernhäuser. Man kann mit Sicherheit feststellen, dass es mit den ersten Siedlungen von Juden in Österreich im 11. und 12. Jahrhundert, Synagogen und Bethäuser gegeben hat und diese die Zentren ihrer dörflichen oder städtischen Gemeinschaften bildeten. In Wien befand sich die erste Synagoge der ersten Wiener Judenstadt bis zur Vertrebung der Juden 1421 am Judenplatz, die Synagoge der Zweiten Wiener Judenstand stand bis zur zweiten Vertreibung 1670 am Platz der heutigen Leopoldskirche (2, Alexander-Poch-Platz).
Jüdische Bethäuser in Wien 19. Jahrhundert bis 1938
Ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wurde Wien der zentrale Anziehungspunkt einer starken jüdischen Zuwanderung aus den östlichen Kronländern der Monarchie, vornehmlich aus Ungarn, Galizien, der Bukowina, Böhmen und Mähren. 1857 waren es mit 2,2% Gesamtanteil an der Bevölkerung ca. 6.200 Juden, 1910 mit 8,6% schon 175.318 Juden.[1]. Die meist sehr frommen, thoratreuen und traditionell eingestellten Juden brachten ihre liturgischen Besonderheiten nach Wien mit und gründeten Bethausvereine in großer Zahl. Sie wollten so beten „wie in ihrer alten Heimat. Diese Juden fanden die formellen Gottesdienste in den Gemeindetempeln ungemütlich“.[2]. Die ältesten Bethäuser waren im 1. Bezirk, Innere Stadt, beheimatet, die zahlenmäßig größte Dichte an Bethäusern ist in dem seit dem 17. Jahrhundert traditionellen jüdischen Wohnbezirk Leopoldstadt, gefolgt vom 20. Bezirk, Brigittenau, zu verzeichnen.
Zumeist wohlhabendere Männer gründeten einen Bethausverein, mieteten in ihrer unmittelbaren Wohnumgebung eine Wohnung und hatten somit ein jüdisches Bethaus ins Leben gerufen. Eine Recherche der Berufe der Vereinsproponenten ergab, dass die meisten dieser Juden in Handel und Gewerbe beschäftigt waren. Nach der Beantragung bei der Vereinsbehörde und Formulierung der Statuten wurden die Statuten zunächst von der Israelitischen Kultusgemeinde Wien begutachtet. Die Israelitische Kultusgemeinde wurde 1852 von der österreichischen Regierung als die alleinige Vertretung der Juden in religiösen, sozialen und kulturellen Angelegenheiten eingesetzt und hatte daher zu prüfen, ob die Vereinsgründungen dem jüdischen Religionsgesetz entsprechen. War der Prozess der Vereinsgründung behördlich abgeschlossen, begann die meist Jahrzehnte andauernde Existenz der Bethäuser, die soziale Lebensmittelpunkte für die Juden waren. Denn sie kamen täglich mindestens zweimal zum Gebet zusammen. Es fanden aber im Bethaus auch regelmäßige Vorträge statt und die überwiegend männlichen Besucher kamen täglich mehrere Stunden zum Lernen des Talmuds. Im Umfeld des Bethauses fanden auch Wohltätigkeitveranstaltungen und Sammlungen für wohltätige Zwecke statt. Die Mitglieder eines Bethauses erhielten Hilfe in allen Lebenslagen, wobei vor allem im Todesfall eines Mitgliedes den Hinterbliebenen Beistand geleistet wurde. Manchen Bethäusern waren Talmud-Thora-Schulen angeschlossen. Auch chassidische „Wunderrabbiner“, die zumeist während des Ersten Weltkrieges aus Galizien nach Wien geflüchtet waren gründeten ihre „Höfe“ in Form von Bethäusern und sammelten ihre Anhänger um sich. Es waren dies vor allem die "Großrabbiner" von Czortkow, Husyatin, Sadagora und Kopyczyner.[3]
Jüdische Bethäuser während des Nationalsozialismus
Nahezu alle während eines gesamten Jahrhunderts gegründeten 76 Bethausvereine bestanden bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten und wurden bereits im März oder April 1938 durch wilde Arisierungen von Gestapo und SA brutal geschlossen und deren Vermögen geraubt. An ihre Stelle übernahmen NS-Parteistellen die Wohnungen der Bethäuser oder sie wurden an Private weiter vermietet. Nach dem Anschluss 1938 wurde für die Auflösung und Umbildung sämtliche österreichischer Vereine, Stiftungen und Fonds die von Gauleiter Josef Bürckel eingesetzte Behörde Stillhaltekommissar für Vereine, Organisationen und Verbände zuständig. Jüdische Organisationen, so auch die Bethäuser, wurden ausnahmslos aus den Vereinsregistern gelöscht. Erste Brandanschläge erfolgten durch die Hitlerjugend bereits Mitte Oktober 1938. Das endgültige Ende aller Synagogen und Bethäuser war mit dem Novemberpogrom am 10. November 1938 besiegelt. Zahlreiche Bethäuser wurden verwüstet und angezündet.
Arisierung und Restitution von Liegenschaften jüdischer Bethäuser
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurden jüdische Vereine und Stiftungen in überwiegendem Maße nicht mehr reaktiviert, da die ehemaligen Funktionäre entweder ermordet waren oder nicht mehr zurückkehrten. Die wieder errichtete Israelitische Kultusgemeinde erhielt nach dem Vereinsreorganisationsgesetz als Rechtsnachfolgerin der Vereine und Stiftungen im Zuge der Rückstellungsgesetze die meisten Liegenschaften zwar zurück, jedoch nicht das entzogene Vereins- und Stiftungsvermögen. Bargeld, Sparguthaben, Wertpapiere, Inventar und Ritualgegenstände wurden bis heute nicht restituiert. Die Israelitische Kultusgemeinde Wien stellte Anträge auf Rückstellung der Liegenschaften bei der Rückstellungskommission beim Landesgericht für Zivilrechtssachen und erhielt diese teils nur gegen Entschädigungszahlungen an die Arisieure zurück.
Bethäuser in den einzelnen Bezirken Wiens
Nach Forschungsstand August 2020 waren es 76 Bethausvereine in 13 Bezirken Wiens:
1. Bezirk Innere Stadt
Im 1. Bezirk sind drei Bethausvereine im Zeitraum von 1826 bis 1938 verzeichnet. Das Bethaus in 1., Lazenhof 2 galt als ältestes quellenmäßig belegtes Bethaus. Kein Verein wurde nach 1945 wieder begründet.
2. Bezirk Leopoldstadt
Im 2. Bezirk sind 43 Bethausvereine im Zeitraum von 1865 bis 1938 verzeichnet. Nur ein Verein wurde nach 1945 wieder begründet.
3. Bezirk Landstraße
Im 3. Bezirk sind vier Bethausvereine im Zeitraum von 1895 bis 1938 verzeichnet. Kein Verein wurde nach 1945 wieder begründet.
4. Wieden
Im 4. Bezirk sind zwei Bethausvereine im Zeitraum von 1936 bis 1938 verzeichnet. Kein Verein wurde nach 1945 wieder begründet.
5. Margareten
Im 5. Bezirk ist ein Bethausverein im Zeitraum von 1868 bis 1938 verzeichnet. Dieser Verein wurde nach 1945 nicht wieder begründet.
6. Mariahilf
Im 6. Bezirk ist ein Bethausverein im Zeitraum von 1924 bis 1938 verzeichnet. Dieser Verein wurde nach 1945 nicht wieder begründet.
7. Bezirk Neubau
Im 7. Bezirk ist ein Bethausverein im Zeitraum von 1924 bis 1938 verzeichnet. Dieser Verein wurde nach 1945 nicht wieder begründet.
9. Bezirk Alsergrund
Im 9. Bezirk sind vier Bethausvereine im Zeitraum von 1899 bis 1938 verzeichnet. Kein Verein wurde nach 1945 wieder begründet.
10. Bezirk Favoriten
Im 10. Bezirk sind zwei Bethausvereine im Zeitraum von 1900 bis 1938 verzeichnet. Kein Verein wurde nach 1945 wieder begründet.
14. Bezirk Penzing
Im 14. Bezirk ist ein Bethausverein im Zeitraum von 1906 bis 1938 verzeichnet. Dieser Verein wurde nach 1945 nicht wieder begründet.
16. Bezirk Ottakring
Im 16. Bezirk sind zwei Bethausvereine im Zeitraum von 1901 bis 1938 verzeichnet. Kein Verein wurde nach 1945 wieder begründet.
17. Siebzehnter Bezirk Penzing
Im 17. Bezirk ist ein Bethausverein im Zeitraum von 1888 bis 1938 verzeichnet. Dieser Verein wurde nach 1945 nicht wieder begründet.
20. Bezirk Brigittenau
Im 20. Bezirk sind 11 Bethausvereine im Zeitraum von 1893 bis 1938 verzeichnet. Kein Verein wurde nach 1945 wieder begründet.
Jüdische Bethäuser - Tabellen, Karten
Literatur
- David Jüdische Kulturzeitschrift
- Hugo Gold: Geschichte der Juden in Wien. Ein Gedenkbuch. Tel-Aviv: Publishing House Olamenu 1966.
- Israel M. Lau: Wie Juden leben. Glaube. Alltag. Feste. Gütersloh 1993: Gütersloher Verlagshaus.
- Marsha L. Rotenblit: Die Juden Wiens 1867-1914. Assimilation und Identität. Böhlau: Wien/Köln/Graz/ 1989
- Elisheva Shirion: Gedenkbuch der Synagogen und Jüdischen Gemeinden Österreichs. Hg. Vom Synagogen Memorial, Jerusalem. Wien: Berger-Horn 2012 (Synagogen Gedenkbücher Deutschland und Deutschsprachige Gebiete, 5 Österreich).
Einzelnachweise
- ↑ Marsha L. Rozenblit: Die Juden Wiens 1867-1914. Assimilation und Identität. Böhlau: Wien/Köln/Graz/ 1989, S. 24
- ↑ Marsha L. Rozenblit: Die Juden Wiens 1867-1914. Assimilation und Identität. Böhlau: Wien/Köln/Graz/ 1989, S. 157
- ↑ Malka Zalmon: Die Geschichte der Juden in Österreich von 1782 bis zur heutigen Zeit. In: Elisheva Shirion: Gedenkbuch der Synagogen und Jüdischen Gemeinden Österreichs. Hg. Vom Synagogen Memorial, Jerusalem. Wien: Berger-Horn 2012 (Synagogen Gedenkbücher Deutschland und Deutschsprachige Gebiete, 5 Österreich), S. 28.