Das Ende der Antike ist mit dem Abzug der römischen Truppen um 420/30 anzusetzen. Danach folgen Jahrhunderte mit wenig bis gar keiner Überlieferung. Erst Ende des 9. Jahrhunderts tritt der Wiener Raum auch wieder ins Licht der Schriftquellen. Das Ende der Epoche und den Beginn der Frühen Neuzeit markieren in Wien der Tod Maximilians I. sowie der Erlass der Stadtordnung 1526. Siehe auch: Themenportal Mittelalter.
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Die frühen Entwicklungen
Aus der Epoche vom 5./6. bis zum 9. Jahrhundert sind keine schriftlichen Nachrichten über das Schicksal des antiken, um 420/430 aufgelassenen Römerlagers Vindobona sowie der hiesigen Zivilstadt erhalten. Nach aktuellen archäologischen Erkenntnissen ist jedenfalls eindeutig von einer Siedlungsunterbrechung, verbunden mit dem Fortbestehen baulicher Reste, somit einer "Ruinenkontinuität", auszugehen. An manchen Stellen des ehemaligen Lagers wurde eine Bodenbildungsschicht (die sogenannte "Schwarze Schicht") beobachtet, die den spätantiken Horizont von mittelalterlichen Schichten trennt. Als Keimzelle des mittelalterlichen Wiens ist eine leichte Erhebung am Hang des südlichen Donauarms innerhalb des römischen Legionslagers zu bezeichnen. Ab dem 9./10. Jahrhundert kommen Keramikfragmente im Nordosten des Lagers vor. Über weitere Scherbenfunde konnte die Ausbreitung der Siedlung von dort aus bis ins 12. Jahrhundert beobachtet werden. Wipplingerstraße und Tuchlauben verbanden West- und Südtor des ehemaligen Lagers mit dem Siedlungskern.[1]
Siedlung ab dem 9. Jahrhundert
Die erste Nennung mit Wien-Bezug hängt mit dem Vordringen der Ungarn nach Osten zusammen. Der Ort der Auseinandersetzung zwischen ungarischen und bayerischen Kämpfern im Jahr 881 - "Wenia" - kann jüngsten Forschungen zufolge als eine Siedlung, wie rudimentär sie auch damals gewesen sein mochte, angesprochen werden und meint nicht den Fluss.[2] Die eigenständige ungarische Bezeichnung für den Ort, vermutlich eine Burgsiedlung, nämlich Bécs, lässt darauf schließen, dass sie zumindest strategisch keineswegs völlig unbedeutend war. Im 10. Jahrhundert dürfte der Ort einen mehrmaligen Besitzwechsel erlebt haben, war aber jedenfalls temporär im ungarischen Einflussbereich, was die übrige politische Geschichte des 10. Jahrhunderts wahrscheinlich macht.
Spätestens auf das 11. Jahrhundert dürfte die Passauer Gründung St. Stephan zurückgehen, allerdings noch lange nicht als Pfarrsitz. Von einer Stadt oder auch nur von städtischen Strukturen kann jedenfalls keine Rede sein. Für die 881 erstmals mit ihrem heutigen Namen ("Wenia") belegte Siedlung sollten im Gefolge der ungarischen Expansion im 9. und 10. Jahrhundert abermals schwere Zeiten anbrechen. Spätestens um die Jahrtausendwende gibt es erste Hinweise auf eine frühe, noch sehr bescheidene Konsolidierung.
Sesshaftwerdung, Christianisierung der Ungarn und eine massive Kolonisationsbewegung im Donauraum schufen die Voraussetzungen für einen allgemeinen Aufschwung der Siedlungstätigkeit. Dies geschah innerhalb des Rahmens der seit 976 bestehenden Markgrafschaft Österreich unter den Babenbergern, die auch Stadtherr von Wien waren. Als das Heer Kaiser Konrad II. nach einem offensichtlich gescheiterten Ungarn-Feldzug bei oder in Wien im Jahr 1030 in Gefangenschaft geriet, wurde klar, wie sehr auch noch zu dieser Zeit die Siedlung in einem gefährdeten Grenzbereich lag. Eine allmähliche Stabilisierung der Grenzen der Mark nach Osten und Norden trat erst allmählich im späten 11. Jahrhundert ein, wobei auch in der Folge kriegerische Auseinandersetzungen immer wieder das Bild der Außenbeziehungen prägten.[3] Für den Siedlungsplatz Wien, der noch bis ins 12. Jahrhundert an der Grenze zu Ungarn lag, wirkte sich der Aufschwung erst vorteilhaft aus, als die österreichischen Landesfürsten ihre Position endgültig gefestigt hatten. Die Entwicklung Wiens zur voll ausgebildeten Stadt wurde erst durch einen vertraglich geregelten Interessenausgleich mit dem Bistum Passau 1137/1138 möglich. Der Tauschvertrag von Mautern spielte dabei eine wichtige Rolle. Er offenbart nicht nur Machtstrukturen vor Ort, sondern wirft auch ein Schlaglicht auf die frühen niederkirchlichen Strukturen. Die Salzburger Gründung St. Peter wird darin als bedeutendstes Gotteshaus in Wien angesprochen. Die am Donauabhang gegründeten Kirche St. Ruprecht hat in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts ebenfalls bereits bestanden. St. Stephan wurde 1137 zur Wiener Pfarre, gelegen in der Diözese Passau.
Politische Geschichte
Die Entwicklung einer Siedlung zur Stadt wie auch die Neugründung einer städtischen Siedlung im Mittelalter wurde in rechts- wie verfassungsgeschichtlicher Hinsicht markant von der Ausbildung und/oder der Verleihung städtischer Rechte beziehungsweise eines Stadtrechts sowie der Entstehung einer eigenständig agierenden, bürgerlichen Selbstregierung geprägt. Weitere wesentliche Kriterien dafür, ab wann von Wien als Stadt gesprochen werden kann, sind a) die früheste Bezeichnungen als "Stadt", b) die Erstnennung von Bürgern, des städtischen Richteramtes, des städtischen Rats als Organ der eigenständig-bürgerlichen Stadtregierung wie auch des Bürgermeisters sowie schließlich c) die frühesten Stadtrechtsverleihungen.
Wien wird erstmals im Mauterner Tauschvertrag aus dem Jahr 1137 als civitas bezeichnet, man wird zu diesem Zeitpunkt am ehesten von einer "befestigten Siedlung" sprechen dürfen. Die Erhebung Österreichs zum Herzogtum 1156 sollte für die städtische Entwicklung Wiens einen ganz entscheidenden Schub auslösen, wie dies an Bezeichnungen der Stadt als Windopolis (1159, 1162) oder auch als civitas metropolitana des österreichischen Herzogs (1172) abzulesen ist.
Nennungen von Leuten als "von Wien" lassen sich noch bis in die Zeit Markgraf Leopolds des Heiligen (vor 1136) zurückverfolgen. Cives (Bürger) sind dann ab der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts zu belegen. Die Nennung eines Wiener Stadtrichters (1192, 1208) wie auch die des Münzkämmerers (1208) werfen Schlaglichter auf unter landesfürstlichem Einfluss stehende beziehungsweise diesen Einfluss sichernde Funktionsträger in der jungen Stadt. Mit dem nur in Abschrift überlieferten Stadtrecht Herzog Leopolds VI. vom 18. Oktober 1221 ist dann ein detaillierter Einblick in die rechtliche Situation Wiens möglich. Zugleich werden darin erstmals auch consules civitatis (= der städtische Rat) erwähnt, womit das Gremium der bürgerlichen politischen Mitbestimmung fassbar wird. All diese Überlieferungen bilden Marksteine für die Ausbildung Wiens zur Kommune.
Markanteres politisches Profil gewann die Stadt sowohl in der Auseinandersetzung mit dem letzten Babenberger um 1240 wie dann auch nach dem Aussterben dieses Geschlechts (1246) sowie unter der Herrschaft des Böhmenkönigs Ottokar II. Přemysl. Um die Mitte des 13. Jahrhunderts konnte man die Schwäche des Landesfürstentums und seiner Repräsentanten ausnutzen, wodurch es zu einer weiteren Verfestigung der bürgerlichen Mitspracherechte kam. Mit dem Bürgerspital entstand eine beispielhafte städtisch-bürgerliche Einrichtung. Zum Jahr 1282 – und damit bereits unter habsburgischer Stadtherrschaft - ist mit Konrad Poll erstmals ein Bürgermeister von Wien genannt, und damit eine für die städtische Autonomie überaus charakteristische Funktion, bezeugt. Zum Jahr 1288 ist dann auch vom Bestand eines Rathauses in der Wollzeile belegt, dem ab 1316 das heutige "Alte Rathaus" in der Wipplingerstraße folgen sollte.
Stadtregierung im Spätmittelalter
Für das 14. und 15. Jahrhundert haben wir genauere Kenntnis davon, wie die Stadt regiert wurde: Für eine Mitgliedschaft im Rat musste der Kandidat über Hausbesitz verfügen, die Ausübung des Mandats war mit erheblichem Zeit- und Geldaufwand verbunden, damit nur wohlhabenden Kreisen möglich. Die Wahl des Rates erfolgte jährlich und lag in den Händen des gleichfalls seit 1221 bezeugten Gremiums der "Genannten", eines 100-köpfigen Ausschusses der bürgerlichen Gemeinde. Den Vorsitz im Rat hatte der Bürgermeister inne, seit 1296 gehörte auch der Stadtrichter dem Rat an. Ab 1346 wissen wir von einem Stadtanwalt, der die Interessen des Landesfürsten gegenüber der Stadt vertrat, und vom Stadtschreiber, dem Leiter der städtischen Kanzlei. Hinweise auf die Existenz eines städtischen Archivs liegen seit 1312 vor.
Rechtlich und repräsentativ fand diese Entwicklung auch in der Anlage des großen Stadtrechtsbuchs - genannt "Eisenbuch" - um die Mitte des 14. Jahrhunderts seinen Ausdruck. Mit dem Tod Friedrichs des Schönen (1330) büßten die Habsburger ihre Funktion als römisch-deutsche Könige für mehr als ein Jahrhundert ein. Erst Albrecht II. erlangte 1438 das Amt wieder. Dieser Machtverlust bestimmte die politischen Möglichkeiten während des späten Mittelalters für den Landesfürsten wie die Stadt nachhaltig.
Dabei ist es durchaus bemerkenswert, dass es in Wien im Gegensatz zu vielen anderen Städten Europas in dieser Epoche ungleich seltener zu Konflikten zwischen sozialen Gruppierungen innerhalb der Bürgerschaft kam. Den zentralen Beleg für diese relativ ruhig verlaufende konstitutionelle Entwicklung bildet das der Stadt 1396 verliehene "Ratswahlprivileg". Der zunehmenden sozialen Differenzierung der Stadtbevölkerung trug man mittels dieses Privilegs Rechnung: Hatten bislang die reichen Kaufleute und Erbbürger (Rentiers) den Rat dominiert, so wurde dessen Zusammensetzung in diesem Jahr drittelparitätisch (Erbbürger/Kaufleute/Handwerker) festgelegt. Im gesetzgebenden Gremium der Stadt, also im Rat, waren nur die – männlichen – Bürger vertreten. Sie legten die Spielregeln des städtischen Lebens in Abstimmung, mitunter auch im Streit mit dem Stadtherrn fest.
Politische Spannungen in der Stadt sollten im 15. Jahrhundert insbesondere in Verbindung mit den Ansprüchen verschiedener Mitglieder der habsburgischen Familie auf die Herrschaft im Lande entstehen. In Summe entstanden daraus vor allem Nachteile für die Stadt. Die bürgerliche Autonomie büßte immer mehr ihre frühere Kraft und Stärke ein. Wenn Konflikte auftraten, orientierten sie sich im Regelfall an verschiedenen, miteinander im Wettstreit befindlichen Angehörigen des habsburgischen Hauses. Diesem Umstand verdankt Wien auch eine repräsentative Zusammenstellung seiner Privilegien aus dem Jahr 1460 und seinen prächtigen Wappenbrief aus dem Jahr 1461.
Äußere Bedrohungen, wie etwa die militärischen Übergriffe der Ungarn, die 1485–1490 in der fünfjährigen Herrschaft König Matthias' Corvinus über Österreich und Wien gipfelten, wie zugleich der Beginn von deutlich überregional, kontinental und dann sogar weltweit bestimmten Interessen der Habsburger ließen den politischen Rang Wiens zusehends schwinden. Schließlich bereitete der in Spanien erzogene Ferdinand I. der von markanter Autonomie geprägten mittelalterlichen Stadtverfassung ein Ende. Er erließ 1526 eine Stadtordnung. Bereits die Bezeichnung dieser Urkunde als "Ordnung" macht den radikalen Wandel vom mittelalterlichen "Stadtrecht" zum herrschaftlich bestimmten Regulativ der Frühen Neuzeit deutlich.
Stadtverwaltung
Die Verfasstheit der Stadt und ihre Organe wurden im Mittelalter ab 1221 in den Stadtrechten schriftlich niedergelegt. Die Verwaltung lag in den Händen von Einzelpersonen, welche bestimmte Funktionen innehatten. So zeichnete der städtische Kämmerer für die Finanzverwaltung verantwortlich, der Mautner für die Einhebung der Maut, der Münzmeister für das landesfürstliche Münzwesen etc.
Wichtig ist die Unterscheidung in die städtische Verwaltungsebene, die aus der städtischen Autonomie dem Stadtherrn gegenüber erwuchs und das Finanzwesen, gewisse Aspekte des Steuerwesens, Mauten, Gewerbe, das Bau- und Grundbuchswesen sowie den Markt betraf. Die hohe Gerichtsbarkeit und das Münzwesen sowie gewisse Aspekte der Finanzverwaltung sowie des Kriegswesens fielen in die landesfürstliche Kompetenz. Erst am Ende des Mittelalters begannen sich aus den Funktionen Ämter im Sinne von Behörden zu entwickeln. Insbesondere bei Finanz- und Bauverwaltung war das mit Oberkammeramt und Unterkammeramt der Fall.
Gerichtswesen
Im Mittelalter gilt es grundsätzlich zwischen Nieder- und Hochgerichtsbarkeit zu unterscheiden. Erstere betraf Zivilrechtsfälle und kleinere Straftaten. Sie lag in den Händen eines vom Ortsherren ernannten Richters. Die hohe Gerichtsbarkeit fiel in die Kompetenz des Landesfürsten, der sie allerdings seit dem 13. Jahrhundert an weltliche und geistliche Grundherren sowie autonome landesfürstliche Städte wie Wien verlieh. Der Wiener Richter hatte eine Doppelfunktion: Er übte als Stadtrichter im städtischen "Burgfried" die niedere, im viel größeren Landesgerichtssprengel die hohe Gerichtsbarkeit aus. Spätestens seit 1296 war er Mitglied des Wiener Rats. Urteile der Hochgerichtsbarkeit bedurften vor der Vollstreckung der Zustimmung des Rats. Die beträchtlichen Einnahmen des Gerichts dienten der Bezahlung von Richter und Hilfskräften. Was übrig blieb, wurde zwischen Richter und Landesfürst aufgeteilt. Die Stadt musste für das Gerichtsgebäude – die Schranne –, die Richtstätte und das dazugehörige Personal aufkommen.
Für gewisse Bevölkerungsgruppen war das Stadt- und Landesgericht wegen ihrer Zugehörigkeit zu bestimmten Berufs- beziehungsweise Standesgruppen nicht zuständig. Klagen gegen sie, ebenso wie interne Delikte, wurden an Sondergerichten abgehandelt: So war für den Herren- und Ritterstand das Landmarschallgericht zuständig, für Bedienstete des landesfürstlichen Hofs das Hofmarschallgericht, für Universitätsangehörige das vom Rektor geleitete Universitätsgericht, für die Geistlichkeit das Gericht des Bischofs, für die Hausgenossen (Münzer) das Münzgericht, für die Juden das Judengericht; schließlich war für Angelegenheiten der Weinbergbewirtschaftung ein eigenes Berggericht zuständig. Wie man sich unschwer vorstellen kann, kam es immer wieder zu Kompetenzstreitigkeiten zwischen den einzelnen Gerichten.
All jene Angelegenheiten, die außer Streit standen, fielen in die Kompetenzen anderer Institutionen: Für Verlassenschaftsabhandlungen, Testamentsangelegenheiten oder auch Vormundschaftssachen war der Wiener Rat zuständig. Das Grundbuchswesen war Sache der Grundherrschaften. Im Fall der Stadt Wien als Grundherr existierte ein Grundbuchsamt, welches die entsprechenden Geschäftsgänge verzeichnete. Auch kleinere Probleme im Liegenschaftswesen wurden dort abgehandelt.
Bevölkerungsentwicklung und soziale Schichtung
Angaben zur Wiener Wohnbevölkerung im Mittelalter zu machen ist nicht ganz einfach – zumindest was die Anzahl der Bewohnerinnen und Bewohner betrifft. Die Erweiterung der Stadt erfolgte in Schüben. Es gab allerdings auch Brüche, die einen Rückgang der Bevölkerung zur Folge hatten. Als wesentlich für die Wiener Demographie können folgende Entwicklungen und Ereignisse festgehalten werden: die Stadterweiterung auf das Dreifache der bisherigen Fläche zu Beginn des 13. Jahrhunderts, die Katastrophen der 1340er Jahre, welche in der Pest von 1349 kulminierten, die Regierungszeit Rudolfs IV. mit der Erleichterung des Zugangs zum Bürgerrecht und der Universitätsgründung, die Vertreibung der Juden 1421, um und nach 1450 die kriegerischen Wirren auf der einen und der Schutz der Vorstädte durch eigene Befestigungen auf der anderen Seite. Um 1500 zählte die Stadt etwa 1.300 Häuser, die Vorstadtzone rund 900 bewohnte Gebäude. Einer vorsichtigen Schätzung zufolge lebten am Ende des Mittelalters 20.000 bis 25.000 Menschen in Wien. Im Heiligen Römischen Reich wurde Wien nur von wenigen Städten übertroffen (Köln: 40.000; Nürnberg: 36.000 Einwohner). Grundsätzlich gilt für Wien im Mittelalter, dass Geburtenrate und Lebenserwartung niedrig, (Kinder)Sterblichkeit hingegen hoch waren. Dazu kamen Verluste durch Seuchen. Zudem herrschte starke Fluktuation, Zuwanderung spielte immer eine wichtige Rolle. Diese gab es auch nahezu ununterbrochen aufgrund mehrerer Umstände: Wien war – zumeist – Hauptstadt und Residenz. Der Landesfürst war der Stadtherr. Durch spezielle Privilegierungen entwickelte sich Wien zu einem der wichtigsten Handelsplätze nördlich der Alpen.
Gliederung der Einwohner nach ihrem Rechtsstatus um 1420
Die Bürger bildeten den Kern und das wirtschaftliche Rückgrat der Bevölkerung. Sie waren durch Eid zu einer politischen Gemeinde verbunden. Eine solche Zusammengehörigkeit, ein solcher Zusammenschluss war die Basis jeder mittelalterlichen Stadtgesellschaft. Wer der Gemeinde angehören wollte, musste männlich sein und das 18. Lebensjahr vollendet haben. Überdies musste er versprechen, in der Stadt einen Haushalt zu führen, Steuern und Abgaben zu bezahlen und persönlichen Einsatz zu leisten. Ein selbstständiges Handwerk oder Handelsunternehmen zu führen, war ausschließlich Bürgern vorbehalten. Als Handwerker galten nicht nur jene, die ein manuelles Gewerbe betrieben, sondern auch Kleinhändler und Dienstleister; insgesamt umfasste diese Gruppe etwa 100 verschiedene Branchen. Als Kaufleute galten nur die Großhändler, Im- und Exporteure. Unter den Bürgern fanden sich auch Ärzte, höhere Beamte und Rechtsanwälte. Als "Erbbürger" galten all jene, die nur von Einkünften aus Haus- und Grundbesitz lebten. Die Gruppe der Inwohner umfasste all jene, die keine Bürger waren und auch keiner anderen Gruppe angehörten. Zumeist handelte es sich um Personen, die ein zu geringes Einkommen für die Bezahlung von Steuern hatten. Zu ihnen zählten Angestellte der städtischen und landesfürstlichen Verwaltung, ebenso wie Lehrlinge, kaufmännische Angestellte, Knechte und Mägde. Das geringste Prestige in dieser Gruppe hatten Taglöhner und Prostituierte], die in den beiden städtischen"Frauenhäusern" wohnten. Geistlichkeit, Juden, Adel und Hofstaat waren privilegierte soziale Gruppen, die der Gemeinde gegenüber nicht steuerpflichtig waren und für die auch das städtische Gericht nicht zuständig war. Sie standen damit außerhalb der bürgerlichen Gemeinde, spielten in der Stadt freilich eine zum Teil ihrer schieren Zahl wegen (Klerus), aber auch – ganz allgemein – ihrer Sonderstellung wegen eine wichtige Rolle.
Neben dem Landesfürst und seinem Hofstaat (1420: 200 Personen) bildeten Bürger (1420: 10.000), Inwohner (1420: 5.500), Geistlichkeit (1420: 1.500), Angehörige der Universität (1420: 1.500), Juden (1420: 700), "Gäste" (= fremde Kaufleute) (1420: 300), sowie der Adel und dessen Dienerschaft (1420: 300) jeweils eigene Gruppen mit spezifischem Rechtsstatus. Um 1420 hatte Wien in etwa 20.000 Einwohnerinnen und Einwohner, gegen 1500 circa 25.000. Siehe auch Bevölkerung, Bevölkerungsgeschichte
Zusammenschlüsse von Einwohnern erfolgten allerdings nicht nur auf rechtlicher Basis. Viel unmittelbarer waren Bewohner mittelalterlicher Städte zum Beispiel beruflich zusammen geschlossen und entwickelten auf dieser Grundlage Identität, ein "Wir-Gefühl". Das konnte in Zechen und Genossenschaften wie auch in geistlichen Bruderschaften der Fall sein. Äußeres Zeichen einer solchen Verbundenheit konnte eine Fahne oder ein gemeinsamer Patron sein. Die Wiener Kaufleute beispielsweise hatten den hl. Markus als Patron, was auch die seit etwa 1200 bestehende Verbindung mit Venedig augenfällig zum Ausdruck bringt.
Geschlechterspezifisches
Auch wenn Frauen im Rat nicht zugelassen waren, im öffentlichen Leben waren sie durchaus präsent. In erb- und besitzrechtlichen Angelegenheiten waren Frauen Männern weitgehend gleichgestellt. 25 Prozent aller an den erfassten Rechtsgeschäften beteiligten Personen waren Frauen. Sie agierten auch als Handwerksmeisterinnen, stifteten soziale Einrichtungen und verfassten auch Testamente, welche in die "Testamentenbücher", die vom Rat geführt und verwahrt wurden, eingetragen wurden. Dass so manche Frauen aus der für die mittelalterliche Epoche so kennzeichnenden Anonymität heraus traten, macht das weibliche Profil der Stadt etwas besser erkennbar. Im Regelfall handelte es sich dabei freilich um Frauen, die zwar in der Stadt lebten, aber eben nicht zum Kreis der Bürgerinnen gehörten, wie die Hofdame Königin Elisabeths von Luxemburg Helene Kottannerin (um 1400 – um 1470).
Gesundheit und Soziales
Die Gesundheit mittelalterlicher Städter war permanenten, direkten Bedrohungen ausgesetzt: Menschen lebten in einem ummauerten Bereich auf engstem Territorium zusammen. Aus dem 15. Jahrhundert sind uns zahlreiche Versuche der städtischen Behörden überliefert, die ärgsten Missstände einzudämmen. Meist beschränkte man sich allerdings darauf, die städtischen Mistknechte einmal im Frühjahr und Herbst sowie bei hohen Feierlichkeiten zur Reinigung der Stadt tätig werden zu lassen. Auch die Versorgung mit sauberem Wasser war unzureichend. In den Häusern gab es keine Bäder, zur Körperpflege suchte man Badstuben auf. Das Stubenviertel dürfte seinen Namen von der lokalen Häufung solcher Badstuben erhalten haben. An Ärzten lassen sich in Wien seit dem frühen 14. Jahrhundert "Buchärzte" und "Wundärzte" nachweisen. Erstere verfügten über eine universitäre Ausbildung, letztere nicht. Die Qualität der ärztlichen Leistungen nahm in Wien mit der Gründung der Universität im Jahr 1365 einen Aufschwung. Dennoch praktizierten 1454 gerade einmal elf Ärzte in Wien.
Spitäler und Siechenhäuser
Den Hauptteil der Sozialleistungen im mittelalterlichen Wien trugen die gestifteten Anstalten, von denen das Bürgerspital die bedeutendste war. Spitäler waren im Mittelalter nicht in erster Linie Krankenhäuser im heutigen Sinn, sondern vielmehr Anlaufpunkt für all jene, die sich nicht (mehr) selbst versorgen konnten: Alte, Pflegebedürftige, Waisen, Obdachlose, ledige Mütter etc. Das Wiener Bürgerspital vor dem Kärntnertor war die größte und auch finanziell am besten ausgestattete Versorgungseinrichtung. In Konkurrenz und direkter räumlicher Nähe zum Bürgerspital lag das bereits 1208 vom herzoglichen Leibarzt Gerhard gegründete Heiligengeistspital, welches vom Antoniterorden (Heiliggeistorden) betrieben wurde. Dieses war allerdings wirtschaftlich weit weniger potent und steckte immer wieder in finanziellen Schwierigkeiten. Für alte und kranke Bedienstete des Landesfürsten war das von Friedrich dem Schönen 1327 gegründete Spital vor dem Werdertor vorgesehen, das allerdings bereits 1343 mit dem 1339/1342 von Albrecht II. gegründeten St.-Martins-Spital vor dem Widmertor fusioniert wurde. Damit war ein Hofspital entstanden, das ab 1469 vom St.-Georgs-Ritterorden verwaltet wurde.
Weiters existierte noch das von einer Wiener Bürgersfrau 1418 gestiftete Pilgramhaus in der heutigen Annagasse, welches hauptsächlich als Obdachlosenasyl fungierte und von einem Bürger geführt wurde. Schließlich ist noch ein Studentenspital im Bereich der heutigen "Alten Universität" bekannt, welches zu Anfang des 16. Jahrhunderts aufgelassen und als St. Sebastian-Spital vor dem Stubentor neu eingerichtet wurde.
Abgesehen von den Spitälern gab es noch die Institution der Siechenhäuser, diese dienten der Pflege von Personen, die ansteckende oder Ekel erregende Krankheiten hatten. Die drei Wiener Siechenhäuser wurden vorsorglich außerhalb der Stadtmauern an der Burgfriedsgrenze, also am äußersten Ende des Stadtgebiets angelegt, fernab von bewohntem Territorium. Im Osten lag das 1267 gegründete, von einem bürgerlichen Verwalter geführte Siechenhaus St. Lazarus, später St. Marx genannt. Es verwahrte auch Geisteskranke, die man im Mittelalter für gemeingefährlich hielt. Im Westen existierte das 1255 begründete Siechenhaus St. Johannes an der Als, das zuerst von einem Bürger, ab 1476 vom Augustiner-Chorherrenstift St. Dorothea betreut wurde. Im Süden schließlich lag an der Fernstraße nach Italien, im Bereich der heutigen Wiedner Hauptstraße 64–66, das Siechenhaus St. Hiob am Klagbaum, 1266 vom damaligen Wiener Pfarrer Gerhard von Siebenbürgen gestiftet. Eine Besonderheit war das Büßerinnenhaus zum heiligen Hieronymus am Franziskanerplatz. Diese 1383 von Wiener Bürgern begründete Anstalt beherbergte ehemalige Prostituierte. Die Frauen lebten dort in einer klosterähnlichen Gemeinschaft und durften diese nur verlassen, wenn sie heirateten.
Religiöses Leben
Erste Versuche einer christlichen Durchdringung des Wiener Raumes im Mittelalter wird man im späten 8. Jahrhundert ansetzen und vermutlich mit den Aktivitäten des Salzburger Erzbischofs Arn in Verbindung bringen können. Verortbar ist ein Gotteshaus bei St. Ruprecht – welches immerhin Rupert, den Begründer der Salzburger Kirche, zum Patron hat. Der Aufbau einer dauerhaften, in den schriftlichen Quellen fassbaren kirchlichen Organisation im Wiener Raum setzte in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts unter der Ägide des Passauer Bischofs ein, zu dessen Bistum Wien bis in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts gehörte. Die erste Wiener Pfarre nimmt man heute bei St. Peter an. Ab 1137 hat die Pfarre ihren Sitz in St. Stephan, der dem Passauer Bistumspatron geweihten, neu errichteten Hauptkirche. Der Wiener Pfarrsprengel reichte weit über den städtischen Burgfried hinaus und erstreckte sich diesseits der Donau im Süden bis an die Liesing und den Petersbach, im Osten bis nach Schwechat. Vermutlich 1221 kam mit St. Michael eine zweite Pfarre in Wien hinzu.
Bistum und Klostergründungen
Bereits seit dem frühen 13. Jahrhundert gab es Pläne der österreichischen Landesfürsten, ein Bistum mit Sitz in Wien zu errichten. Diese Bemühungen scheiterten jedoch immer wieder am zähen Widerstand des Passauer Bischofs. Rudolf IV. erlangte 1365 immerhin die päpstliche Einwilligung für die Einrichtung eines aus einem Propst und 24 Kapitularen bestehenden Kollegiatkapitels, welches bei St. Stephan angesiedelt war und das Ansehen der Pfarrkirche deutlich hob. Erst 1469 wurde auf Antrag Kaiser Friedrichs III. vom Papst ein Wiener Bistum genehmigt, das allerdings – abermals wegen Passauer Widerstands – erst 1480 personell besetzt werden konnte. Bereits 1155 hielt die erste Ordensgemeinschaft, die Benediktiner, mit der Gründung des Schottenstifts durch den Babenbergerherzog Heinrich II. Einzug in Wien. 1224 folgten die Minoriten, 1226 die Dominikaner. In der Vorstadtzone entstanden im frühen 13. Jahrhundert unter anderem das Zisterzienserinnenkloster St. Maria (später St. Niklas) vor dem Stubentor und das Büßerinnenkloster St. Maria Magdalena vor dem Schottentor. Im Oberen Werd (heute: Wien 9) ließen sich 1266 die Augustiner-Eremiten [ Augustinerkloster (9) ] nieder, die dann 1327 in die Stadt verlegt wurden (Augustinerkirche). Vermutlich als Beginenhäuser (Frauengemeinschaften ohne Gelübde) entstanden St. Jakob auf der Hülben und St. Agnes zur Himmelspforte. Auch Ritterorden gründeten Niederlassungen in Wien, unter ihnen der Deutsche Orden sowie die Johanniter (Malteser). Es gab eine enge Verflechtung von städtischer und geistlicher Kultur, wobei auch die religiösen Frauenbewegungen eine bedeutende Rolle spielten.
Traditionen
Die Einwohner der Stadt waren aktiv an der Gestaltung des kirchlichen Lebens beteiligt, welches gleichzeitig einen großen Teil des gesellschaftlichen Daseins bestimmte. Auch die Verwaltung von kirchlichen Fonds wie zum Beispiel jenes zu Ausbau und Erhaltung der Stephanskirche lag in den Händen eines bürgerlichen Kirchmeisters. Kirchliche Feste boten der städtischen Gesellschaft Gelegenheit zur Selbstdarstellung. Vor allem die Fronleichnamsprozession spiegelte eine zutiefst bürgerlich-städtische Mentalität wider. Im 15. Jahrhundert wurden in Wien nicht weniger als 33 Heiligenfeste begangen, an denen die Arbeit ruhte. Die beiden Wiener Jahrmärkte waren an christlichen Feiertagen angesetzt, nämlich zu Christi Himmelfahrt und am Katharinentag (25. November). Die österlichen Passionsspiele und diversen kirchlichen Prozessionen bildeten um 1500 die Anfänge einer Schauspieltradition.
Ein Spezifikum des Wiener religiösen Lebens stellte schließlich die jährlich wiederkehrende Zurschaustellung der Reliquien von St. Stephan am "Weißen Sonntag", also am Sonntag nach Ostern, dar. Seit 1483 existierte am Stephansplatz ein eigens errichtetes Gebäude, der Heiltumstuhl, von dem aus die Geistlichkeit in mehreren rituellen Umgängen den reichen Reliquienschatz der Domkirche den Gläubigen präsentierte.
Erwähnungen ab dem späten 12. Jahrhundert wie das im August 1238 von Kaiser Friedrich II. ausgestellte Privileg für Wiener Juden belegen die Existenz jüdischer Familien in Wien seit dem hohen Mittelalter. Von einer jüdischen Gemeinde wird man wohl spätestens um 1260 sprechen dürfen, als nämlich die Synagoge auf dem späteren Judenplatz entstand (siehe: Judenstadt (1)).
Wirtschaftsgeschichte
Grundlagen der Wiener Wirtschaft zwischen dem 12. und dem 15. Jahrhundert waren zum einen Weinbau und -handel, zum anderen Groß- beziehungsweise Fernhandel (Einfuhr, Ausfuhr und Transit). Handwerk und Gewerbe produzierten überwiegend für den Eigenbedarf. Weingärten fanden sich schon ab dem hohen Mittelalter in beachtlichem Ausmaß rings um die Stadt. Welch großer Wert auf den Schutz des Wiener Weines gelegt wurde, erhellt etwa daraus, dass schon Friedrich II. der Streitbare in seinem Stadtrecht für Wien 1244 untersagte, dass ungarischer Wein in das Stadtgebiet, den Burgfried, eingeführt werden dürfe. In den Besitz von Weingärten, damit auch in den einzigen exportorientierten Wiener Wirtschaftszweig zu investieren, vereinigte bürgerliche, geistliche und landesfürstliche Interessen. Mitte des 15. Jahrhunderts gingen etwa zwei Drittel der jährlichen Gesamtproduktion in den Export (insbesondere nach Oberdeutschland), ein Drittel wurde in der Stadt selbst konsumiert. Penibel geregelt, manchmal auch regelrecht verboten, war die Einfuhr fremder Weine; für den Ausschank südländischer (welscher) und fremder Weine gestattete der Landesfürst 1370 der Stadt die Errichtung einer öffentlichen Taverne, ab 1481 ging man wieder auf die Gewährung von individuellen Einfuhr- und Ausschanklizenzen über. Ganz generell zählte der Ausschank von Eigenwein in Privathäusern zu den Rechten der bürgerlichen Weingartenbesitzer. Geistliche Weingartenbesitzer durften nur ein gewisses Kontingent ausschenken, auf Kommissionsbasis erfolgte der Ausschank in Wirtshäusern. Die Sitte, auf den turnusmäßig begrenzten ein Ausschank durch das Ausstecken von Reisig aufmerksam zu machen, wird bereits in einer städtischen Ordnung von 1459 erwähnt.
Fernhandel
In den kontinentalen Fernhandel eingebunden war Wien sowohl im Hinblick auf die Donau wie auch die Landverbindungen mit Venedig ab dem späten 12. beziehungsweise frühen 13. Jahrhundert. Zu den ältesten einschlägigen Überlieferungen gehören die Verleihung von Gerichts- und Handelsrechten an die Regensburger Kaufleute (1192) sowie die Bestimmungen über die Burg- und Wagenmaut (vor 1221), die allesamt noch die Möglichkeit freier Handelstätigkeit auswärtiger Kaufleute in Wien widerspiegeln. Mit der im Stadtrecht Leopolds VI. von 1221 enthaltenen Verleihung des Stapelrechtes – auswärtige Kaufleute durften ab sofort nicht mehr direkt mit Ungarn Handel treiben, und Wien wurde als fixer und unumgänglicher Zwischenhändler eingeschaltet – wurde eine bis ins frühe 16. Jahrhundert bestehende, wesentliche Grundlage für den Anteil Wiens am Fernhandel geschaffen. Wiewohl die Stadt bereits ab dem 14. Jahrhundert nicht selten auf anderen Handelsrouten (etwa von Nürnberg über Prag, Böhmen und Mähren nach Ungarn) umgangen zu werden pflegte, das Stapelrecht damit praktisch wirkungslos wurde, sollte es erst unter Maximilian I. (1517) endgültig aufgehoben werden. Während der mit Erlaubnis König Rudolfs von Habsburg 1278 eingerichteten Wiener Märkte, die bis 1382 zwei, dann vier Wochen dauerten und echte Handelsmessen waren, durften die auswärtigen Kaufleute (genannt "Gäste") direkt miteinander Handel treiben, Wein war davon allerdings ausgenommen. Handwerk und Gewerbe in der Stadt wiesen ein schon im 13. Jahrhundert belegbares, breites Spektrum auf. Nach mittelalterlichem Verständnis zählten auch Kleinhandel und Dienstleistungsgewerbe zu diesem Bereich.
Lebensmittelversorgung
Das mittelalterliche Wien bezog sein Getreide vor allem aus dem Hinterland der Stadt, aus dem Wiener Becken und dem Marchfeld, geringere Mengen auch aus Böhmen, Mähren und Ungarn. Man hat errechnet, dass die Stadt Wien mit einer Bevölkerung von ca. 20.000 Menschen zur Deckung des Getreidebedarfs einer Fläche von ca. 180.000 Hektar bedurfte. Das entspricht der 450-fachen Fläche des damaligen Wien. Bereits im Mittelalter beeinflussten städtische Ballungsräume Ökosysteme, die hunderte Kilometer weit entfernt lagen. Als Beispiel sei der städtische Bedarf an (Rind-)Fleisch angeführt. Für Wien war der Fleischimport im ausgehenden Mittelalter so hoch, dass er lokal nicht zu decken war. Um 1500 wurden 50.000 Stück ungarisches Rind jährlich nach Österreich, Süddeutschland und bis Straßburg gebracht. Das entspricht etwa 16.700 Tonnen Biomasse im Jahr.
Fisch wurde in großen Mengen als Speise für die häufigen Fasttage benötigt. Für Wien sind uns seit dem 13. Jahrhundert Vorschriften überliefert, die den Fischfang steuern sollten. Besonders Überfischung führte zur Verarmung mancher Frischwasserpopulationen sowie zu deren Kollaps. Immer wieder mussten einzelne Fischarten oder deren Nachwuchs geschützt werden. Das Fischereipatent Maximilians I. von 1506 legt davon Zeugnis ab.
Geldwesen
Spezifisch mittelalterliche Züge trug die Organisation des Geldwesens, das für das Herzogtum Österreich ab dem späten 12. Jahrhundert sein Zentrum in Wien hatte. Unter prinzipieller Wahrung der landesfürstlichen Hoheit war die praktische Abwicklung (Münzprägung) den Hausgenossen, einem Konsortium von 48 Wiener Bürgern, vorbehalten, die auch das Privileg des Geldwechsels innehatten. Mit der Sitte, sich bei Neuprägungen durch die Verwendung minderwertiger Materialien finanzielle Vorteile zu verschaffen, machte 1359 Herzog Rudolf der Stifter Schluss. Er verzichtete darauf, führte aber im Gegenzug das Ungeld, die Getränkesteuer, ein. Der Finanzhaushalt Wiens lässt sich auf der Grundlage der ab dem 14./15. Jahrhundert erhaltenen städtischen Rechnungsbücher (Kammeramtsrechnungen) rekonstruieren. Während die Einnahmen im Wesentlichen aus Abgaben (Steuern, Mauten, Monopole), Gebühren und Strafgeldern sowie Erwerbseinkünften (etwa aus Grund- und Hausbesitz oder Eigenbetrieben der Stadt selbst) erwuchsen, spielten bei den Ausgaben Aufwendungen für die Rechtspflege (Stadtgericht, Strafvollzug), die innere Verwaltung (unter anderem für Zwecke der Wirtschafts- und Feuerpolizei, das Schulwesen und die Fürsorge), Leistungen an den Landesfürsten (Steuern, Ehrengeschenke), Repräsentation (Feste), die städtische Außendiplomatie, das Kriegswesen und die Aufwendungen für städtische Bauten die größte Rolle.
Bildung und kulturelles Leben
Schule
Ein Schulwesen ist für Wien in der für das Mittelalter typischen Form der Anknüpfung an die Pfarre, als städtische Lateinschule, schon für die Zeit vor 1237 nachzuweisen. 1237 ist dann in der Urkunde Kaiser Friedrichs II. für Wien die schon bestehenden Knabenschule unter ihrem vom Reich (später vom Landesfürsten, ab 1296 von der Stadt selbst) bestellten Rektor fassbar. Zur Schule (ursprünglich im Pfarrhof, vgl. die Bezeichnung "Schulerstraße"; ab dem frühen 14. Jahrhundert im heutigen Churhaus, Stephansplatz 3) gingen – jedenfalls in der Frühzeit – neben den jüngeren Grammatikschülern durchaus auch reifere, bereits schriftkundige Scholaren. Ein Unterricht für Mädchen war nicht vorgesehen. - Es entwickelten sich zwar auch bei anderen Wiener Pfarren (zum Beispiel Schottenkirche) Schulen, doch lag die Oberaufsicht über alle bei der Bürgerschule. Selbst die Gründung der Wiener Universität im Jahre 1365 führte zu keinem Bedeutungsverlust der Schule, beide Institutionen waren vielmehr personell und rechtlich-organisatorisch eng miteinander verknüpft. Aus dem Jahr 1446 ist eine von Bürgermeister und Rat erlassene Schulordnung überliefert, der interessante Einblicke in die räumlichen Verhältnisse, die Organisation wie die Methoden und Inhalte des Unterrichts zu verdanken sind.
Universität
Universitätsstadt wurde Wien erst 1365. Ein Impuls für die Einrichtung wird wohl die Konkurrenz zwischen Rudolf IV. und seinem Schwiegervater, Kaiser Karl IV., gewesen sein. Der Kaiser hatte in Prag bereits 1348 eine Universität gegründet. Die Residenz des Habsburgers sollte nicht nachstehen. Am 18. Juni 1365 genehmigte Papst Urban V. die Universitätsgründung, eine theologische Fakultät blieb ihr allerdings verwehrt. Der frühe Tod Rudolfs nur vier Monate nach der Gründung und die ungeklärte Unterbringungsfrage hatten zur Folge, dass die Neugründung zunächst ohne größere Bedeutung blieb. Das änderte sich erst nach der Bewilligung der theologischen Fakultät 1384 und der großzügigen Ausstattung der Institution durch Herzog Albrecht III. 1384/1385. Die Organisation der Universitätsangehörigen erfolgte 1384 nach dem Pariser Modell, welches den Zusammenschluss von Lehrenden und Studierenden in vier sehr weit gefassten geographischen Gruppen, so genannten Nationen, vorsah. An der Universität Wien wurden eine österreichische, eine rheinische, eine ungarische und eine sächsische Nation eingerichtet. Im Mittelalter bildete die rheinische Nation mit dem Einzugsgebiet Bayern/Franken/Schwaben mit knappen 43 Prozent der Universitätsangehörigen die größte Gruppe. In der frühen Neuzeit verschob sich das Verhältnis zugunsten der österreichischen Nation, die sich aus Angehörigen der habsburgischen Lande zusammensetzte. Ab den 1380er Jahren hatte die Universität einen stetigen Zuwachs an Immatrikulierten zu verzeichnen, ein Höhepunkt war in der Mitte des 15. Jahrhunderts erreicht, danach ging die erste Blüte zu Ende. Von etwa 1500 bis 1520 erlebte sie eine zweite, bevor die gesamteuropäische Krise der Universität im Gefolge der Reformation zu starken Einbrüchen führte. Rechtlich war die Universität ein Sonderbezirk. Ihre Angehörigen waren nicht dem Stadt- und Landesgericht unterworfen. Ein Sondergericht war für sie zuständig. Die Bürgergemeinde wurde vom herzoglichen Stadtherrn gezwungen, die Sonderstellung der Universität anzuerkennen. Spannungen waren an der Tagesordnung.
Volkskultur
Formen der mittelalterlichen Wiener Volkskultur begegnen uns häufig im Rahmen von Jahrmärkten und öffentlich abgehaltenen Festivitäten. Gaukler und Spielleute traten dort auf und begeisterten die Zuschauer. Ab dem 15. Jahrhundert lassen sich szenische Darstellungen der Leidensgeschichte Christi in der Karwoche und auch Darbietungen am Fronleichnamstag nachweisen. Sie stellen die Anfänge der Wiener Schauspieltradition dar. Um 1500 ermöglichte die Gottsleichnamsbruderschaft – ein Zusammenschluss von Honoratioren rund um das Fronleichnamsfest, eines der populärsten religiös-bürgerlichen Feste der Epoche –, dass derartige Passionsspiele bei St. Stephan wie auch auf dem Neuen Markt aufgeführt werden konnten. In den Bereich der Volkskultur lässt sich auch ein seit 1382 bis ins 16. Jahrhundert zweimal jährlich stattfindendes Spektakel einreihen: das Scharlachrennen. Dabei handelte es sich um ein Pferderennen, das dem Palio in Siena ähnlich war.
Architektur und Stadtplanung
Genauere Kenntnis von den Ursprüngen bestimmter Bauten liegen – infolge der ungleich besseren Quellenlage – im Regelfall für Kirchen und Ordensniederlassungen vor. Dieses Phänomen spiegelt nicht zuletzt die Bedeutung von Religiosität und Frömmigkeit innerhalb der mittelalterlichen (Stadt)Gesellschaft wider. So verdanken wir den schon in der Mitte des 12. Jahrhunderts einsetzenden Zeugnissen über den Bestand des ältesten Wiener Klosters, des Schottenstifts, frühe Einblicke in die Verdichtung der Besiedlung des Raumes außerhalb des alten Römerlagers. Bezogen auf die Vorstädte der ab dem späten 12. Jahrhundert ummauerten Stadt gilt dies noch viel mehr: Ohne die Nennung von kirchlichen Niederlassungen in dieser Zone könnten wir Vorstellungen von deren baulicher Realität erst ab dem Einsetzen bildlicher Überlieferungen im 15. Jahrhundert entwickeln. Im Fall der Wiener Hauptkirche St. Stephan wissen wir von einer Bauhütte, die in Form der Dombauschule im Prinzip bis heute besteht. Die Stadt stellte aus den Kreisen ihrer Bürger – für St. Michael nachweislich seit 1325, für St. Stephan seit 1334 – Kirchmeister, die das Kirchenvermögen (= Baubudget) verwalteten. Die Stadt trug freilich nicht nur Bau- und Finanzverantwortung für Pfarrkirchen, sie war bei großen öffentlichen Bauten stark und unmittelbar in das Baugeschehen involviert. Schwerpunkte städtischer Bauinitiativen sind mit der Errichtung, Erhaltung und Reparatur der Ringmauer seit dem späten 12. Jahrhundert verbunden.
Ab den 1440er Jahren gilt dies auch für die Vorstadtbefestigung, die zum Schutz der außerhalb der Stadtmauer gelegenen Zone in Form von Bollwerken, Gräben und Palisadenzäunen, vereinzelt in gemauerter Form angelegt wurde. Darüber hinaus gab es eine größere Zahl an öffentlichen Gebäuden, wie das Alte Rathaus, die Schranne (= Gerichtsgebäude) auf dem Hohen Markt, die Bürgerschule zu St. Stephan oder die Mehlgrube auf dem Neuen Markt. Bei all diesen Objekten sorgte die Stadt für die Bereitstellung der erforderlichen finanziellen Mittel für Bau, Ausstattung und Erhaltung.
Die große Masse der Gebäude des mittelalterlichen Wiens, sei es nun inner- oder auch außerhalb der Stadtmauer, das waren freilich die Häuser der Bürger und die Wohnstätten der so genannten Inwohner, die nicht über eigenen Hausbesitz verfügten. Eingehende Untersuchungen haben ergeben, dass keineswegs von einer Dominanz schmaler gotischer Parzellen oder auch schmaler Giebelhäuser auszugehen ist. Ein besonders gut erforschtes Bauwerk aus dem Mittelalter ist neben dem Stephansdom insbesondere die Hofburg.
Das Antlitz der Stadt im späten Mittelalter spiegelt sich ansatzweise in den Bildzeugnissen wie alten Stadtansichten wider: Liste von Plänen und Ansichten von Wien.
Ereignisse
Die Stadt wurde im Mittelalter immer wieder von Stadtbränden, Überschwemmungen und Seuchen heimgesucht. Auch kam es zu häufig zu Belagerungen der Stadt - die längste war jene durch Matthias Corvinus von 1483-1485 - und zu Streitigkeiten um die Stadtherrschaft, siehe dazu bei den jeweiligen Personen unter Babenberger und Habsburger. Explizit sei auf den Kampf um die Stadtherrschaft 1461-1463 hingewiesen.
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Siehe auch
Quellen
- Peter Csendes: Die Rechtsquellen der Stadt Wien, In: Fontes rerum Austriacarum, 3. Abteilung: Fontes iuris 3 (1986)
- Heinrich Fichtenau / Erich Zöllner [Hg.]: Urkundenbuch zur Geschichte der Babenberger in Österreich. 5 Bände. Wien [u.a.]: Oldenbourg 1950-1997
- Klaus Lohrmann / Ferdinand Opll: Regesten zur Frühgeschichte von Wien. Wien: Verein für Geschichte der Stadt Wien [u.a.] 1981 (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte, 10)
- Urkundenbestände des Wiener Stadt- und Landesarchivs in monasterium.net
Literatur
- Peter Csendes / Ferdinand Opll (Hg.): Wien. Geschichte einer Stadt. Band 1: Von den Anfängen zur Ersten Wiener Türkenbelagerung (1529). Wien / Köln / Weimar: Böhlau 2001
- Peter Csendes / Ferdinand Opll: Wien im Mittelalter. Zeitzeugen und Analysen. Wien /Köln: Böhlau Verlag 2021
- Karl Lechner: Die Babenberger. Markgrafen und Herzoge von Österreich 976-1246. Wien / Graz [u.a.]: Böhlau 1976 (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, 23)
- Sabine Felgenhauer-Schmiedt (Hg.): Von Vindobona zu Wienna – Archäologisch-historische Untersuchungen zu den Anfängen Wiens. Beiträge zur Mittelalterarchäologie in Österreich – Beiheft 11. Wien: 2019
- Klaus Lohrmann: Die Besitzgeschichte des Wiener Raums vom Ende des 11. bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts. In: Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien 35. Wien: 1979, S. 38-77
- Christina Lutter: Stadt und Gemeinschaft. Schenkungen und Stiftungen als Quellen sozialer Beziehungsgeflechte im spätmittelalterlichen Wien. In: Mitteilungen der Residenzenkommission Göttingen 9: Göttingen: 2020, 27-42
- Paul Mitchell: Die Erweiterung von Wien unter Herzog Leopold VI. In: Karsten Igel / Michaela Jansen / Ralph Röber / Jonathan Scheschkewitz [Hg.]: Wandel der Stadt um 1200. Die bauliche und gesellschaftliche Transformation der Stadt im Hochmittelalter, Materialhefte zur Archäologie in Baden-Württemberg 96. Stuttgart: Theiss 2013, S. 383-394
- Ferdinand Opll: Erstnennung von Siedlungsnamen im Wiener Raum. Wien [u.a.]: Jugend & Volk 1981 (Kommentare zum Historischen Atlas von Wien, 2)
- Ferdinand Opll / Christoph Sonnlechner: Wien im Mittelalter. Aspekte und Facetten. Wien: Wiener Stadt- und Landesarchiv 2008 (Veröffentlichungen des Wiener Stadt- und Landesarchivs Reihe B: Ausstellungskataloge, Heft 77)
- Barbara Schedl: Klosterleben und Stadtkultur im mittelalterlichen Wien. Zur Architektur religiöser Frauenkommunitäten. Forschungen un Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte 51. Wien-Innsbruck: Studien-Verlag 2009
- Susana Zapke, Elisabeth Gruber (Eds.): A Companion to Medieval Vienna, Brill’s Companion to European History 25. Leiden: Brill 2021
Referenzen
- ↑ Paul Mitchell: Die Erweiterung von Wien unter Herzog Leopold VI. In: Wandel der Stadt um 1200. Die bauliche und gesellschaftliche Transformation der Stadt im Hochmittelalter, Materialhefte zur Archäologie in Baden-Württemberg 96. Hg. von Karsten Igel/Michaela Jansen/Ralph Röber/Jonathan Scheschkewitz. Stuttgart: 2013, S. 383-394, hier 383
- ↑ Klaus Lohrmann: Die Babenberger und ihre Nachbarn. Wien / Köln / Weimar: Böhlau Verlag 2019.
- ↑ Klaus Lohrmann: Die Babenberger und ihre Nachbarn. Wien / Köln / Weimar: Böhlau Verlag 2019.